Ein kleines Land, eingezwängt zwischen Rumänien und der Ukraine, rückt plötzlich ins Zentrum der geopolitischen Auseinandersetzung. Moldawien hat gewählt – und die Welt schaut genau hin. Denn die Parlamentswahl vom 28. September 2025 war nicht nur ein innenpolitisches Kräftemessen, sondern auch ein Testfall: Bleibt der Kurs klar proeuropäisch oder zieht das Land wieder stärker in den Bannkreis Moskaus?
Die Antwort scheint eindeutig: Die Präsidentin Maia Sandu und ihr Partei-Flaggschiff PAS haben eine komfortable Mehrheit errungen. Doch der Triumph ist überschattet von schweren Vorwürfen – russische Einmischung, Desinformationskampagnen, Cyberattacken und sogar Drohungen gegen Wahllokale.
Ein Land im Spannungsfeld
Seit dem Krieg in der Ukraine lebt Moldawien mit einer doppelten Zerreißprobe. Auf der einen Seite lockt die EU-Mitgliedschaft, auf der anderen Seite versucht Moskau, seinen Einfluss in der früheren Sowjetrepublik zu sichern.
Für viele Moldawierinnen und Moldawier ist der Weg nach Westen mehr als nur ein politisches Projekt – er gilt als Chance auf Modernisierung, Wohlstand und Sicherheit. Doch ebenso real ist die Bindung an Russland, sei es über die Sprache, Energieabhängigkeit oder das abtrünnige Gebiet Transnistrien, wo seit Jahren russische Soldaten stationiert sind.
Mit dieser Wahl sollte sich die strategische Richtung entscheiden. Und genau deshalb, so die moldawische Regierung, habe der Kreml alles darangesetzt, die Waage in seinem Sinne zu neigen.
Die Vorwürfe: Ein hybrider Werkzeugkasten
1. Desinformation und digitale Angriffe
Gefälschte Nachrichtenportale, manipulierte TikTok-Clips, automatisierte Accounts auf X – die Liste liest sich wie ein Handbuch moderner Propaganda. Besonders heikel: Viele dieser Inhalte sollen mithilfe von Künstlicher Intelligenz erzeugt worden sein. Ziel: Misstrauen gegenüber den Institutionen säen und den proeuropäischen Kurs diskreditieren.
Parallel dazu berichteten Behörden von Angriffen auf Regierungs- und Wahlserver. Auch wenn die Systeme standhielten, blieb der Eindruck hängen: Hier versucht jemand, den Prozess zu sabotieren.
2. Geldflüsse und Stimmenkauf
Noch explosiver sind die finanziellen Vorwürfe. Präsidentin Sandu spricht von über 100 Millionen Euro, die aus Russland – teils in Kryptowährungen – in die moldawische Politik gepumpt worden sein sollen.
Mit diesem Geld, so der Verdacht, wurden Stimmen gekauft, Proteste organisiert und Oppositionsparteien unterstützt. Besonders im Fokus: der exilierte Oligarch Ilan Shor, der von Moskau aus seine Fäden ziehen soll.
3. Einschüchterung und Chaos
In mehreren Wahllokalen gingen Bombendrohungen ein. Gleichzeitig wurden Personen festgenommen, die angeblich für gezielte Provokationen trainiert worden waren. Für die Behörden ein klares Signal: Hier geht es nicht mehr nur um Meinungsbildung, sondern auch um die Sicherheit des Wahlakts.
4. Diplomatisches Tauziehen
Während Chişinău russischen Beobachtern die Akkreditierung verweigerte, protestierte Moskau lautstark und sprach von einem „untransparenten“ Prozess. Offiziell weist der Kreml jede Einmischung zurück – und dreht den Spieß um, indem er dem Westen vorwirft, Moldawien als „Spielball“ gegen Russland zu instrumentalisieren.
Das Ergebnis: Ein Sieg mit Beigeschmack
Am Ende aber konnte der PAS jubeln: Mit über 50 Prozent der Stimmen erreicht er die absolute Mehrheit. Ein Mandat, das es Sandu erlaubt, ohne Koalitionspartner zu regieren.
Das prorussische Lager – allen voran Igor Dodons „Patriotischer Block“ – kommt nur auf rund 24 Prozent. Eine Niederlage, die zwar schmerzt, aber zeigt: Der Rückhalt für Moskau ist nicht verschwunden, sondern bleibt ein relevanter Teil der politischen Landschaft.
Die Wahl war damit mehr als ein politischer Urnengang. Sie war eine Art Volksabstimmung über die geopolitische Zukunft Moldawiens – und die Mehrheit hat sich für Europa entschieden.
Zwischen Beweisen und Behauptungen
Doch wie belastbar sind die Anschuldigungen?
Viele Vorwürfe basieren auf Regierungsangaben, Berichten unabhängiger Medien oder Analysen internationaler Beobachter. Gerichtsfeste Beweise liegen nur in Teilen vor. Das macht die Lage kompliziert: Zwischen realer Einflussnahme und politischem Kalkül verschwimmt die Grenze.
Gleichzeitig darf man die Macht hybrider Methoden nicht unterschätzen. Selbst wenn die konkreten Manipulationsversuche den Wahlausgang nicht kippten, hinterlassen sie ein Gift: das Gefühl, der eigene Wille zähle nicht mehr. Und genau das ist das Kalkül solcher Operationen.
Ein Prüfstein der Souveränität
Moldawien hat die Wahl gewonnen – doch der Kampf um seine Demokratie geht weiter.
Die größte Herausforderung wird darin bestehen, die Resilienz zu stärken: digitale Sicherheit, transparente Wahlverfahren, unabhängige Medien. Denn wenn bei jeder Abstimmung sofort von „Einmischung“ die Rede ist, droht die Demokratie selbst zu erodieren.
Und die Frage bleibt: Wie oft kann ein kleines Land dem Druck zweier geopolitischer Schwergewichte standhalten, ohne zu zerbrechen?
Autor: MAB
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