Tag & Nacht


Es ist ein Bild, das nicht so recht zum Kalender passt: Während andernorts der Herbst seine trüben Farben ausbreitet, sonnen sich die Menschen an der Bucht von Arcachon, als wäre August. Kinder planschen im seichten Wasser, Erwachsene genießen ihren Kaffee im T-Shirt auf der Terrasse. Am 12. und 13. November 2025 erreicht das Thermometer im Südwesten Frankreichs Spitzenwerte von bis zu 26 Grad. Ein Sommer im Herbst? Schön, ja – aber nicht ohne bitteren Beigeschmack.

Die Wetterlage ist ungewöhnlich, beinahe surreal. In Bordeaux zeigt das Thermometer 22 Grad, an der Küste der Aquitaine sogar noch mehr. Manch einer nutzt die Gelegenheit für einen Strandtag mit der Familie, andere freuen sich schlicht über die warme Luft und die Sonne. Doch die Freude ist nicht ungetrübt. „Es ist schon schön, klar“, sagt eine Besucherin aus Bordeaux, „aber irgendwie ist es auch beunruhigend. So warm – mitten im November?“

Meteorologen sprechen längst nicht mehr von einem Zufall. Was sich hier abspielt, sei mehr als nur eine milde Episode. „Das ist eine klare Anomalie“, erklärt Némo Pawlowski von Météo France. „Seit den 1950er-Jahren steigt die Durchschnittstemperatur in Frankreich um etwa 0,3 Grad pro Jahrzehnt. Diese Wärmeperioden im Herbst sind mittlerweile genauso bezeichnend für den Klimawandel wie die Sommerhitzen.“ Es sei kein Einzelfall mehr, sondern ein neuer Normalzustand, der sich immer deutlicher bemerkbar mache.

Und das nicht nur beim Wetterbericht.

Im Alltag der Menschen im Südwesten zeigen sich erste Anpassungen. Heizungen bleiben ausgeschaltet, der Kamin bleibt kalt. „Normalerweise hätte ich jetzt schon die erste Ladung Holz verfeuert“, meint ein Mann aus der Nähe von Dax. Stattdessen reicht ein Pullover – selbst am Abend. Der Energieverbrauch sinkt, doch die Unsicherheit wächst: Was bedeutet das für den Winter? Und für die kommenden Jahre?

Auch in der Tierwelt ist der Wandel spürbar. Auf einem Reiterhof bei Arcachon müssen die Pferde wegen der ungewöhnlichen Wärme intensiver gepflegt werden. Audrey Lacondeguy, erfahrene Reiterin, beschreibt, wie sich durch das milde Klima die Zahl der Insekten verändert hat: „Wir haben deutlich mehr Zecken, was die Gefahr von Piroplasmose erhöht. Und dann sind da noch die Gastérophilen – Fliegen, die ihre Eier auf Pferde ablegen. Früher kannte man die eher aus wärmeren Monaten.“

Was den Gastronomen an der Küste ein Lächeln entlockt, lässt Klimaforscher ratlos zurück. Denn für die Restaurants kommt der Wetterumschwung wie gerufen: Nach einem regnerischen Monatsbeginn bringt die Sonne volle Terrassen und klingelnde Kassen. „Wir hatten zwei richtig gute Tage“, berichtet Vincent Gerbaud vom Restaurant Chez Pierre in Arcachon. „Fast wie im August – das ist gut fürs Geschäft.“

Doch wie lange kann man solche Wetterlagen noch genießen, ohne sich zu sorgen?

Der französische Südwesten, geprägt von mildem Atlantikklima, ist schon lange bekannt für goldene Herbsttage. Doch diese Novembertage 2025 übersteigen alles Dagewesene. Sie markieren einen Kipppunkt im Bewusstsein vieler Menschen: Die Symptome des Klimawandels sind nicht mehr abstrakt, sie sind spürbar, sichtbar – und sie machen auch vor vermeintlich stabilen Jahreszeiten keinen Halt.

Wenn der November zum zweiten Sommer wird, steht mehr auf dem Spiel als ein schöner Strandtag.

Autor: C.H.

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