Tag & Nacht




Man stelle sich vor: Ein Jahr lang stapeln sich Briefe in der Garage eines Postboten. Was wie der Anfang einer skurrilen Geschichte klingt, ist in Bourgoin-Jallieu, einer Stadt im französischen Département Isère, Realität geworden.

Vom Postboten zum Brief-Horter

Mehr als 13.000 Briefe fanden bei einem Postboten ihren Weg nicht zu ihren Empfängern, sondern landeten in seiner eigenen Garage. Diese unfassbare Zahl an nicht zugestellten Briefen wurde erst durch eine gerichtliche Untersuchung ans Licht gebracht. Der Postbote, der für den Bereich l’Isle-d’Abeau zuständig war, erklärte, er habe seine Zustellrunden nie vollständig geschafft und die Briefe daher gehortet, um keinen Ärger mit seinem Arbeitgeber zu bekommen.

Der Skandal kam zufällig ans Licht: Die Frau des Postboten meldete den Behörden, dass ihr Mann ein Katana – ein japanisches Schwert – besitze. Bei der Hausdurchsuchung stießen die Beamten dann auf die unglaubliche Anzahl an nicht zugestellten Briefen.

Angst vor Problemen beim Arbeitgeber

Der Postbote, der noch in der Ausbildung war, wollte offensichtlich seine Schwierigkeiten verbergen, um den erhofften unbefristeten Arbeitsvertrag nicht zu gefährden – den er mittlerweile auch erhalten hatte. Die Konsequenzen lassen jedoch nicht lange auf sich warten: La Poste, das französische Postunternehmen, erstattete Anzeige und suspendierte den Postboten. Jetzt wird der gesamte Stapel Briefe mit einem Entschuldigungsschreiben nachträglich verteilt.

Schlechte Arbeitsbedingungen als Ursache?

Olivier Peyroux, Gewerkschaftssekretär bei Sud PTT Isère-Savoie, sieht in dem Fall kein Einzelschicksal: „Es ist kein Einzelfall, dass Postboten, jung oder alt, unter den Arbeitsbedingungen zusammenbrechen. Die Ausbildung und Unterstützung sind oft mangelhaft.“ Laut Peyroux sind französische Postboten zunehmend überlastet. „Alle zwei Jahre gibt es Umstrukturierungen, die die Strecken und das Arbeitspensum erhöhen. Das übersteigt oft die erträgliche Arbeitsbelastung. Viele geben ihr Bestes, aber die Arbeitsorganisation steht dem im Weg.“

Strenge Konsequenzen

Die rechtlichen Konsequenzen für den Postboten sind erheblich: Ihm drohen bis zu 45.000 Euro Strafe und drei Jahre Gefängnis wegen „Vertrauensmissbrauchs“. Im Januar 2025 wird er sich vor dem Gericht in Vienne verantworten müssen. Eine Strafe, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte – doch wie oft müssen Menschen unter solchen Arbeitsbedingungen leiden, bevor sich etwas ändert?

Eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt

Der Fall des Postboten von Bourgoin-Jallieu ist ein deutliches Beispiel dafür, wie Menschen unter Druck und mangelhafter Unterstützung Entscheidungen treffen, die sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen können. Es ist auch ein Weckruf an Unternehmen, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter ernsthaft zu verbessern. Man fragt sich: Wie viele ähnliche Fälle gibt es wohl noch, die im Verborgenen bleiben?

Nicht nur die Anzahl der Briefe ist schockierend, sondern auch die Umstände, die zu dieser ungewöhnlichen Situation geführt haben. Der Postbote hat sicherlich falsch gehandelt – doch vielleicht liegt die eigentliche Schuld bei denjenigen, die die Arbeitsbedingungen so unerträglich gemacht haben.

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!