Die Justiz hat entschieden: Der Polizist, der den tödlichen Schuss auf den 17-jährigen Nahel Merzouk im Juni 2023 in Nanterre abgab, soll wegen Mordes vor Gericht gestellt werden. Diese Nachricht brachte Erleichterung für die Familie des Jugendlichen – doch auch heftige Reaktionen von Polizeigewerkschaften.
Eine schockierende Wendung – und eine entscheidende Videoaufnahme
Der Vorfall ereignete sich am 27. Juni 2023, als Nahel Merzouk mit einem Mercedes unterwegs war und von zwei Motorradpolizisten verfolgt wurde. Laut Anklageschrift wurde das Fahrzeug schließlich im dichten Verkehr blockiert. Obwohl Nahel versuchte, wieder anzufahren, bestand nach Ansicht der Ermittler „keine unmittelbare Gefahr“ für die Beamten.
Zunächst hatte es geheißen, dass der Schütze aus Notwehr gehandelt habe, weil der Jugendliche direkt auf ihn zugefahren sei. Doch dann tauchte ein Video auf, das diese Version widerlegte und landesweit Empörung auslöste. Die Bilder zeigten, dass Nahel zwar versuchte weiterzufahren, jedoch keine aggressive Bedrohung für die Polizisten darstellte.
Eine im Mai 2024 durchgeführte Rekonstruktion bestätigte schließlich, dass weder Nahel noch die Beamten vor dem Schuss physisch angegriffen worden waren. Laut Staatsanwaltschaft handelte der Polizist in einer „extremen Stresssituation“ und traf eine „unüberlegte Entscheidung“, anstatt als erfahrener Beamter besonnen zu bleiben.
Mordanklage als logische Konsequenz
Margot Pugliese, Anwältin der Familie von Nahel, zeigte sich erleichtert über die Mordanklage, kritisierte jedoch, dass gegen den zweiten anwesenden Polizisten keine weiteren Schritte eingeleitet wurden.
Frank Berton, Anwalt der Mutter des Opfers, betonte, dass es keine andere rechtliche Einordnung als Mord geben könne: „Die Tat war absichtlich, die Tötungsabsicht klar.“ Für Nahels Mutter sei es eine Erleichterung, dass der Kampf um Gerechtigkeit nicht in einem juristischen Winkelzug endet, der den mutmaßlichen Täter vor einem Prozess bewahrt.
Ganz anders reagierte die Verteidigung des beschuldigten Polizisten. Sein Anwalt, Laurent-Franck Liénard, zeigte sich zwar „nicht überrascht“, betonte jedoch, dass der Schuss „völlig legal“ gewesen sei. Auch die Gewerkschaften sind empört.
Wut in der Polizei – und Proteste angekündigt
Linda Kebbab, Sprecherin der Polizeigewerkschaft Un1té, erklärte, sie sei „fassungslos“ über die Entscheidung: „Welcher Polizist kann noch ruhig schlafen, wenn er jederzeit für einen Einsatz vor Gericht landen könnte?“ Der Verband Alliance nannte die Mordanklage „inakzeptabel“ und rief für Mittwoch um 12:30 Uhr zu landesweiten Protesten vor den Polizeikommissariaten auf.
Die hitzigen Reaktionen kommen nicht überraschend. Eine Studie der französischen Défenseure des droits aus dem Februar 2024 ergab, dass mehr als die Hälfte der Polizisten und Gendarmen (51,8 %) der Meinung sind, dass der Erfolg ihrer Einsätze wichtiger sei als die strikte Einhaltung der Gesetze.
Erinnerung an die Unruhen – und ungelöste Fragen
Nach dem Tod von Nahel brachen in ganz Frankreich Proteste aus. Viele Kommunen, insbesondere in Nanterre, wurden von massiven Ausschreitungen erschüttert. Die damalige Premierministerin Élisabeth Borne versprach mehr Mittel für Problemviertel – umgesetzt wurden letztlich jedoch nur verschärfte Sicherheitsgesetze, wie zuletzt die von Bildungsminister Gabriel Attal initiierte Reform zur Jugendkriminalität.
Raphaël Adam, der Bürgermeister von Nanterre, erinnerte am Dienstag daran, dass es in erster Linie um Gerechtigkeit gehe: „Unsere Gesellschaft schuldet der Familie von Nahel und allen Bürgern unserer Stadt Wahrheit und Fairness.“
Nun liegt die endgültige Entscheidung bei einem Untersuchungsrichter, der klären muss, ob es tatsächlich zu einem Prozess kommt. Eines ist jedoch sicher: Dieser Fall wird Frankreich weiterhin spalten.
Autor: Catherine H.
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