Tag & Nacht

Es ist wieder so weit! In einem kleinen Ort in Pennsylvania wird ein Murmeltier aus seinem Bau geholt, auf eine Bühne gesetzt und als meteorologisches Genie gefeiert. Die Menge hält den Atem an – sieht er seinen Schatten oder nicht? Die Antwort, verkündet von einer Gruppe Herren in Zylindern, entscheidet angeblich über die nächsten sechs Wochen Wettergeschehen. Klingt verrückt? Ist es auch. Aber genau deshalb lieben Millionen von Menschen diesen kuriosen Brauch.


Die Magie von Gobbler’s Knob

Punxsutawney, ein sonst beschauliches Städtchen im Westen Pennsylvanias, verwandelt sich jedes Jahr am 2. Februar in ein winterliches Woodstock. Tausende Menschen reisen an, um den legendären Punxsutawney Phil in Aktion zu sehen. Die Ursprünge dieses Spektakels reichen weit zurück – bis ins 18. Jahrhundert, als europäische Siedler ihre Traditionen mitbrachten. In Deutschland war es einst der Dachs, der das Wetter vorhersagen sollte. Doch in den USA übernahm das Murmeltier diesen Job.

Das Event selbst ist eine Mischung aus Volksfest, Spektakel und Ritual. Es beginnt im Morgengrauen, wenn die „Inner Circle“-Mitglieder des Punxsutawney Groundhog Clubs in ihren schwarzen Mänteln und Zylindern feierlich die Bühne betreten. Dann wird Phil, der angeblich einzige und unsterbliche Wetterprophet, vorsichtig aus seinem Bau geholt. Und dann?

Dann ist alles eine Frage des Schattens.


Schattenspiele und fragwürdige Prognosen

Wenn Phil seinen Schatten sieht, bedeutet das sechs weitere Wochen Winter. Wenn nicht, kommt der Frühling früher. So einfach ist das – oder?

Naja, nicht wirklich. Erstens ist Phils Trefferquote alles andere als beeindruckend. Untersuchungen zeigen, dass seine Vorhersagen in weniger als der Hälfte der Fälle korrekt waren. Also schlechter als eine Münze werfen. Zweitens ist das ganze Prozedere natürlich eher ein gut inszenierter Spaß als ernsthafte Wissenschaft. Das Murmeltier spricht nicht wirklich „Groundhog-ese“, wie die Clubmitglieder behaupten. Es wird einfach aus zwei vorbereiteten Schriftrollen „ausgewählt“, welche Vorhersage gilt.

Aber mal ehrlich – wer nimmt das hier wirklich ernst? Es geht doch um die Tradition, den Zauber des Moments und den Spaß an der Sache. Und mal ehrlich: Hatten wir nicht alle schon Wetterberichte, die genauso ungenau waren wie Phils Prophezeiungen?


Bill Murray und die Renaissance des Murmeltiers

Lange Zeit war Groundhog Day ein lokales Ereignis, das zwar bekannt, aber keineswegs weltberühmt war. Doch dann kam 1993 – und mit ihm „Und täglich grüßt das Murmeltier“.

Der Kultfilm mit Bill Murray machte Punxsutawney Phil zum internationalen Star. Plötzlich wollten nicht nur die Menschen aus Pennsylvania dabei sein, sondern auch Besucher aus der ganzen Welt. Der Tourismus explodierte, der Hype wuchs, und heute ist Groundhog Day mehr als nur eine Wettervorhersage – es ist ein Winterfestival mit eigenem Mythos.

Echte Fans reisen Jahr für Jahr an. Manche sogar schon seit Jahrzehnten. Für sie ist es nicht nur eine skurrile Tradition, sondern ein echtes Highlight im Winter. Keith Post aus Ohio etwa hat sich den Besuch schon lange vorgenommen. „Wir haben die Hotelzimmer fast ein Jahr im Voraus gebucht“, erzählt er begeistert.

Und dann gibt es noch Jon Lovitch aus New York, der schon seit 33 Jahren dabei ist. Sein Grund? „Das hier ist wohl die größte und beste Winterparty der Welt.“

Wer hätte gedacht, dass ein Murmeltier so viel Begeisterung auslösen kann?


Ein Ort voller Geschichten

Gobbler’s Knob, das Herzstück der Feierlichkeiten, ist ein ganz eigener Mikrokosmos. Die Menschen kommen nicht nur für die Vorhersage, sondern auch für die Atmosphäre. Live-Musik, bunte Lichter, wärmender Kakao und eine riesige Gemeinschaft, die den Winter feiert, anstatt sich über ihn zu beschweren.

Die Stadt hat sogar ein eigenes Besucherzentrum für Phil und seine Familie eingerichtet. Dort lebt er – zumindest offiziell – mit seiner Frau Punxsutawney Phyllis und den Murmeltier-Kindern Shadow und Sunny. Die Geschichte besagt, dass Phil dank eines „Elixiers des Lebens“ seit über 100 Jahren am Leben ist. Klingt absurd? Absolut! Aber genau das macht den Charme dieser Legende aus.


Murmeltier oder Meteorologe?

Trotz aller Traditionen bleibt eine Frage offen: Sollte man einem Murmeltier wirklich mehr Aufmerksamkeit schenken als Meteorologen mit Satellitendaten?

Wissenschaftlich gesehen ist das natürlich Unsinn. Die tatsächlichen Wetterprognosen basieren auf komplexen Modellen, nicht auf tierischen Instinkten. Aber vielleicht geht es gar nicht darum. Vielleicht brauchen wir einfach ein bisschen Magie im grauen Winter.

Und ganz ehrlich – wer beschwert sich schon über eine Party mitten im Februar?


Fazit: Ein Spaß, den die Welt braucht

Ob Punxsutawney Phil ein echter Wetterprophet oder einfach nur ein gut genährtes Murmeltier mit Starallüren ist, spielt eigentlich keine Rolle. Groundhog Day ist ein Beispiel dafür, wie eine kleine Tradition zu einem weltweiten Phänomen werden kann.

Vielleicht sollten wir alle ein bisschen mehr wie Phil sein: Ab und zu aus unserem Bau kriechen, in die Welt hinausschauen – und einfach das Beste daraus machen.

Von Andreas M. Brucker


Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!