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Am 4. Mai 2025 erlebte Rumänien einen politischen Umbruch: George Simion, Vorsitzender der ultranationalistischen Partei AUR (Allianz für die Vereinigung der Rumänen), gewann die erste Runde der Präsidentschaftswahlen mit 40,5 Prozent der Stimmen. Im zweiten Wahlgang am 18. Mai wird er gegen den pro-europäischen Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan antreten, der 20,9 Prozent der Stimmen erhielt. Damit stehen sich zwei völlig unterschiedliche politische Weltanschauungen gegenüber – und die Zukunft des Landes steht auf dem Spiel.

Ein Kandidat mit polarisierendem Profil

George Simion, 38 Jahre alt, ist eine prägende Figur der rumänischen Rechten. Als Mitbegründer der AUR im Jahr 2019 hat er sich durch nationalistische, konservative und EU-skeptische Positionen hervorgetan. Seine Reden sind durchzogen von historischen Verweisen, patriotischer Rhetorik und einer scharfen Kritik an der politischen Elite und westlichen Institutionen. Die Ablehnung der militärischen Unterstützung für die Ukraine sowie Forderungen nach einer „Wiederherstellung der historischen Grenzen Rumäniens“ haben ihm breite mediale Aufmerksamkeit eingebracht – ebenso wie seinen Ausschluss aus Moldawien und der Ukraine.

Brisant ist auch seine Ankündigung, im Falle eines Wahlsiegs Călin Georgescu zum Premierminister zu ernennen – einen umstrittenen ehemaligen UN-Experten, der durch prorussische Aussagen und antisemitische Verschwörungstheorien aufgefallen ist. Georgescu war bereits bei der annullierten Präsidentschaftswahl 2024 ein zentraler Akteur, die wegen vermuteter externer Einflussnahme aufgehoben wurde. Trotz juristischer Verfahren und politischer Isolation wird er von Simion offen hofiert – ein Signal, das viele als gezielten Affront gegen westliche Standards der politischen Kultur werten.

Politische Instabilität als Nährboden

Die derzeitige Zuspitzung ist das Ergebnis jahrelanger politischer Instabilität. Der erneute Urnengang wurde durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts notwendig, das Unregelmäßigkeiten und mutmaßliche russische Einflussnahmen bei der Wahl 2024 monierte. Die daraus folgende Vertrauenskrise in die staatlichen Institutionen führte zu Demonstrationen, erhöhter gesellschaftlicher Polarisierung und einem schwindenden Vertrauen in das politische Establishment.

Das schlechte Abschneiden des sozialdemokratischen Kandidaten Crin Antonescu, der mit 20,3 Prozent den dritten Platz belegte, setzte schließlich die amtierende Regierung unter Druck. Premierminister Marcel Ciolacu trat noch am Wahlabend zurück – eine symbolische Kapitulation angesichts des Rechtsrucks in der Bevölkerung. Seine Regierung, die auf einem fragilen Bündnis von Sozialdemokraten, Liberalen und Minderheitenparteien beruhte, verlor innerhalb weniger Stunden ihre politische Handlungsfähigkeit.

Zwei entgegengesetzte Visionen

Der anstehende zweite Wahlgang konfrontiert die Wählerschaft mit einer klaren Alternative: Auf der einen Seite George Simion, der für eine souveränistische, traditionalistische und antiglobalistische Linie steht. Auf der anderen Seite Nicușor Dan, der einen pragmatischen, reformorientierten Kurs verfolgt und sich als verlässlicher Partner der EU und NATO positioniert.

Dan, ein Mathematiker mit akademischem Hintergrund, war zunächst als Bürgerrechtler aktiv und ist seit 2020 Bürgermeister von Bukarest. Er versteht sich als Vertreter eines technokratischen Politikstils, der institutionelle Stärkung, Korruptionsbekämpfung und Modernisierung in den Vordergrund stellt. Seine Kampagne hebt die Bedeutung von Stabilität und europäischer Integration hervor – in Kontrast zu Simions eher konfrontativen und symbolpolitisch aufgeladenen Botschaften.

Auswirkungen über Rumänien hinaus

Die Wahl in Rumänien hat das Potenzial, weit über die Landesgrenzen hinaus zu wirken. Simions Aufstieg könnte die europäische Rechte stärken, insbesondere jene Strömungen, die gegen eine weitere Integration der EU opponieren. Auch innenpolitisch steht viel auf dem Spiel: Unter einem Präsidenten Simion wäre mit einer zunehmenden Aushöhlung liberaler Institutionen, einer Verschärfung der Rhetorik gegenüber Minderheiten und einer distanzierteren Haltung zur Ukraine zu rechnen.

Zwar betont Simion, dass ein Austritt aus der Europäischen Union oder der NATO nicht auf seiner Agenda stehe. Dennoch besteht die Gefahr, dass Rumänien unter seiner Führung zu einem Störfaktor im transatlantischen Gefüge wird – ähnlich wie es Ungarn unter Viktor Orbán ist. Die Nähe zu Moskau, die mehrfach durch politische Aussagen und Personalvorschläge angedeutet wurde, trägt zusätzlich zur Besorgnis westlicher Hauptstädte bei.

Die Wahl findet zudem in einem sensiblen sicherheitspolitischen Umfeld statt: Rumänien spielt als östlicher Außenposten der NATO eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Ukraine und der Sicherung des Schwarzen Meers. Eine politische Neuausrichtung in Bukarest könnte daher strategische Auswirkungen für das gesamte Bündnis haben.

Eine Entscheidung von historischer Tragweite

Rumänien steht am Scheideweg. Die Präsidentschaftswahl 2025 ist nicht nur eine innenpolitische Weichenstellung, sondern ein Lackmustest für die Resilienz demokratischer Institutionen in einem Land, das zwischen dem Erbe des Kommunismus und der Verheißung der westlichen Moderne steht. Der Wahlausgang am 18. Mai wird zeigen, ob sich Rumänien weiterhin in das europäische Projekt einfügt – oder ob es in eine Ära der Renationalisierung und politischen Isolation eintritt.

Von Andreas Brucker

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