In Rumänien bahnt sich ein politischer Erdrutsch an. Mit satten 40,9 Prozent der Stimmen hat George Simion, Chef der ultranationalistischen AUR-Partei, den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2025 klar gewonnen. Weit abgeschlagen: Nicușor Dan, der zentristische Bürgermeister von Bukarest, mit 20,9 Prozent – dicht gefolgt vom pro-europäischen Crin Antonescu mit 20,1 Prozent.
Ein solches Ergebnis verändert die politische Landschaft tiefgreifend.
Und doch: Viele hatten es kommen sehen.
Denn diese Wahl war von Anfang an kein gewöhnlicher Urnengang. Schon der erste Anlauf im November 2024 wurde von der Verfassungsrichterbank einkassiert – Grund: nachgewiesene russische Einflussnahme zugunsten des inzwischen disqualifizierten Kandidaten Călin Georgescu, einem erklärten Unterstützer Moskaus. Jetzt tritt George Simion in seine Fußstapfen – und das mit Nachdruck. Er hat bereits angekündigt, Georgescu im Falle eines Wahlsiegs in eine Schlüsselrolle zu hieven.
Was bedeutet das für Rumänien – und für Europa?
Simion, 38, ist alles andere als ein Leisetreter. Laut, provokant, mit Hang zur politischen Nostalgie: Er will Rumäniens historische Grenzen „wiederherstellen“, inklusive Teilen der Republik Moldau und der Ukraine. Das klingt nicht nur nach Revisionismus, das ist es auch. Unterstützung für die Ukraine? Ein Dorn im Auge des Kandidaten. Die EU? Ein „Elitenprojekt“, das er ablehnt. Brüssel darf sich warm anziehen, sollte Simion den zweiten Wahlgang gewinnen.
Dabei profitiert er von wachsendem Frust im Land. Viele Rumänen – vor allem junge Männer und Menschen aus ländlichen Regionen – fühlen sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten. Zu viel Korruption, zu wenig Veränderung, so der Tenor. Simion gibt sich als Retter des „kleinen Mannes“ und setzt auf knallharte Botschaften: Anti-System, Anti-Korruption, Anti-EU.
Ein politischer Cocktail, der offenbar zieht.
Ganz anders sein Kontrahent: Nicușor Dan. Mathematiker, technokratisch, zurückhaltend – und Verfechter einer proeuropäischen Linie. Als Bürgermeister von Bukarest hat er Reformwillen gezeigt, auch wenn nicht alles reibungslos lief. Er will Rumänien im westlichen Bündnis verankert halten, sowohl in der EU als auch in der NATO. Sollte er den Einzug in die Stichwahl schaffen, will er sich mit allen prowestlichen Kräften zusammenschließen.
Die große Frage: Wird das reichen?
Immerhin lag die Wahlbeteiligung bei erfreulichen 53,2 Prozent – mit einem deutlichen Plus bei den Auslandsrumänen. Vor allem in Spanien und Italien war der Andrang groß. Viele von ihnen sehen die Entwicklung in der Heimat mit Sorge und wollen ein Zeichen gegen den Rechtsruck setzen. Doch ihre Stimmen allein werden kaum ausreichen.
Der zweite Wahlgang am 18. Mai verspricht, zu einer Schicksalswahl zu werden.
George Simion versus Nicușor Dan – das ist mehr als ein Duell zweier Kandidaten. Es ist ein Stellvertreterkampf um die Seele des Landes. Zwischen Nationalismus und westlicher Integration, zwischen Abschottung und Zusammenarbeit. Beobachter vergleichen die Lage mit früheren Wendepunkten in Polen oder Ungarn – beides Länder, die ähnliche politische Bewegungen kannten und kennen.
Auch auf internationaler Ebene ist die Aufmerksamkeit groß. Sowohl die EU als auch die NATO schauen genau hin. Rumänien ist nicht irgendein Mitglied – das Land liegt an der Ostflanke des Bündnisses, grenzt an die Ukraine, ist logistisch und strategisch von hoher Bedeutung. Ein pro-russischer Präsident in Bukarest? Ein Alptraum für viele europäische Diplomaten.
Was passiert, wenn Simion tatsächlich gewinnt? Welche außenpolitischen Verpflichtungen würde er kippen? Und was bedeutet das für die rumänische Gesellschaft – insbesondere für Minderheiten, Frauen, LGBTQ+-Menschen?
Die kommenden zwei Wochen bis zur Stichwahl dürften hitzig werden.
Der Ausgang bleibt offen – doch der Kurs, den das Land einschlägt, wird noch lange nachhallen.
Von Catherine H.
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