Tag & Nacht




Es klingt wie ein Politthriller – doch was derzeit in Rumänien geschieht, ist bittere Realität. Die Präsidentenwahl am 4. Mai ist nicht nur ein Urnengang, sondern ein Kraftakt gegen Manipulation, Propaganda und digitale Unterwanderung. Der Staat kämpft nicht mehr nur um Stimmen, sondern um seine demokratische Glaubwürdigkeit.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Im November 2024 wurde ein Wahlgang in einem EU-Land für ungültig erklärt – weil Russland über TikTok und andere Kanäle massiven Einfluss genommen haben soll. Ziel der Operation: dem rechtsextremen Kandidaten Călin Georgescu den Weg ins höchste Amt zu ebnen. Der Mann gab an, kein Budget zu haben – wurde aber online beworben wie ein Rockstar. Es ist, als hätte man einem Schattenkandidaten eine Hochglanzkampagne spendiert – aus dem Nichts.

TikTok statt Plakatwand

2025, neue Wahl, neues Glück? Nicht ganz. Die Behörden sind aufgewacht und setzen nun auf strengere Regeln: Politische Inhalte müssen auf Social Media klar gekennzeichnet sein. Über 116.000 Fake-Accounts wurden bereits gelöscht. Internationale Beobachter aus den USA sind vor Ort, um den Ablauf zu prüfen. Klingt vorbildlich – doch was passiert hinter den Kulissen?

Denn was die klassischen Sicherheitsmaßnahmen nicht auffangen, sind die tieferliegenden Verwerfungen. Rumäniens Gesellschaft ist polarisiert, die Jugend orientierungslos, die Politik zersplittert. Und auf TikTok lässt sich viel leichter Stimmung machen als in einer Talkshow im Staatsfernsehen.

George Simion – Kopf der rechtsnationalen AUR – führt derzeit die Umfragen an. Der Mann gibt sich als Anti-System-Politiker, spricht eine klare Sprache und weiß, wie man virale Clips produziert. Pro-EU-Kandidaten wie Crin Antonescu oder Nicușor Dan wirken dagegen fast schon aus der Zeit gefallen – technokratisch, farblos, wenig greifbar.

Wer gewinnt in so einem Rennen? Der mit dem besten Wahlprogramm – oder der mit den meisten Followern?

Die Demokratie auf dem Prüfstand

Rumänien steht an einem Scheideweg. Die EU schaut genau hin – nicht nur wegen der geopolitischen Lage, sondern auch wegen der symbolischen Bedeutung. Wenn ein Mitgliedsstaat in einem Wahlprozess derart ins Wanken gerät, stellt das auch die europäische Wertegemeinschaft in Frage. Was nützt ein Binnenmarkt, wenn das Fundament – die Demokratie – zu bröckeln beginnt?

Die Behörden geben sich Mühe, keine Frage. Doch Misstrauen lässt sich nicht per Dekret beseitigen. Viele Rumänen sind politikverdrossen, ihre Erwartungen niedrig. Und gerade das macht es extremen Bewegungen so leicht. Wer das System ohnehin für korrupt hält, lässt sich schneller von jenen einfangen, die versprechen, es „aufzuräumen“.

Zweifel und digitale Dynamik

Ein besonderes Paradox: Während digitale Plattformen wie TikTok für Desinformation missbraucht werden, sind sie gleichzeitig das wichtigste Sprachrohr zur jungen Wählerschaft. Verbieten? Kontrollieren? Regulieren? Ein Drahtseilakt.

Denn wie unterscheidet man zwischen legitimer politischer Meinung und gezielter Einflussnahme? Zwischen patriotischer Rhetorik und gefährlichem Nationalismus? Genau hier scheiden sich die Geister – nicht nur in Rumänien.

Und nun?

Sollte am 4. Mai keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erringen, wird am 18. Mai erneut gewählt. Zwei Wochen also, in denen sich entscheidet, ob Rumänien weiter europäisch und demokratisch bleibt – oder ob die Versuchung des Populismus obsiegt.

Die demokratischen Institutionen wurden gestärkt, die Schutzmaßnahmen erweitert. Doch echte Resilienz entsteht nicht durch Technik allein, sondern durch Vertrauen. Vertrauen in faire Prozesse, in transparente Kandidaturen, in die Unabhängigkeit der Medien. Und dieses Vertrauen muss man sich in Zeiten der digitalen Zersetzung hart erarbeiten.

Denn die Frage, die über dieser Wahl schwebt, lautet: Kann eine Demokratie gegen Algorithmen und Desinformation bestehen?

Von M.A.B.

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