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Die Ägäis – tiefblaues Meer, weiße Häuser mit blauen Kuppeln, sanftes Wellenrauschen. Doch unter der idyllischen Oberfläche brodelt es. Santorini, eines der bekanntesten Reiseziele Griechenlands, liegt in einer der seismisch aktivsten Regionen Europas. Hier sind Erdbeben keine Seltenheit. Die Insel selbst ist ein Überbleibsel eines der gewaltigsten Vulkanausbrüche der letzten 10.000 Jahre. Und was viele nicht wissen: Die tektonischen Spannungen in dieser Region könnten nicht nur Santorini erschüttern, sondern auch einen Tsunami im Mittelmeer auslösen.

Doch wie genau hängen Erdbeben, der Vulkanismus der Insel und eine mögliche Tsunami-Gefahr zusammen? Gehen wir der Sache auf den Grund.


Warum bebt die Erde auf Santorini so häufig?

Die Ursache für die häufigen Erdbeben in der Ägäis liegt in der komplexen Plattentektonik der Region. Santorini liegt am südlichen Rand der Ägäischen Platte, einer kleinen tektonischen Mikroplatte, die zwischen der Afrikanischen und der Eurasischen Platte eingeklemmt ist.

Hier schiebt sich die Afrikanische Platte langsam unter die Eurasische Platte – ein Prozess, der als Subduktion bekannt ist. Dabei wird die ozeanische Kruste unter den Kontinent gedrückt und schmilzt teilweise auf. Dieses geschmolzene Gestein sammelt sich in Magmakammern, die wiederum Vulkane speisen.

Die Spannungen, die sich durch diesen Vorgang aufbauen, entladen sich immer wieder in Form von Erdbeben. Manche sind kaum spürbar, andere können Häuser zum Wanken bringen. Und manchmal, wenn sich der Meeresboden dabei abrupt verschiebt, kann das Wasser über ihm in Bewegung geraten – ein Tsunami ist geboren.

Doch Santorini hat noch einen anderen Faktor, der die seismische Gefahr verstärkt: seinen eigenen Vulkan.


Der Vulkan von Santorini: Ein explosiver Unruhestifter

Die Insel, so wie wir sie heute kennen, ist das Ergebnis eines gigantischen Vulkanausbruchs, der sich vor etwa 3.600 Jahren ereignete. Dieser Ausbruch war so heftig, dass er einen Großteil der damaligen Insel ins Meer sprengte. Was blieb, war die heutige halbmondförmige Caldera – eine riesige Einbruchsmulde, die mit Meerwasser geflutet wurde.

Seitdem ist der Vulkan zwar nicht mehr in dieser extremen Form ausgebrochen, doch er ist keineswegs erloschen. Im Gegenteil: Seine Aktivität wird stetig überwacht. In den letzten Jahrhunderten kam es immer wieder zu kleineren Ausbrüchen, zuletzt 1950. Die heutigen Vulkankegel im Zentrum der Caldera, Nea Kameni und Palea Kameni, sind lebendige Erinnerungen daran, dass der Vulkan noch atmet.

Und genau hier liegt das Problem: Sollte es zu einer erneuten Aktivitätssteigerung kommen – sei es durch einen Ausbruch oder durch ein starkes Erdbeben –, könnte dies gewaltige Auswirkungen auf das gesamte Mittelmeer haben.


Tsunami-Gefahr: Kann ein Beben oder ein Vulkanausbruch eine Riesenwelle erzeugen?

Ja, das ist durchaus möglich. Tatsächlich gibt es historische Belege dafür, dass der Ausbruch von Santorini vor 3.600 Jahren eine gigantische Flutwelle auslöste, die Küsten von Kreta bis zur Türkei verwüstete.

Es gibt drei Hauptmechanismen, durch die ein Tsunami in dieser Region entstehen könnte:

  1. Ein starkes Erdbeben unter Wasser
    Wenn sich der Meeresboden bei einem Beben ruckartig hebt oder senkt, wird eine enorme Wassermasse in Bewegung gesetzt. Je nachdem, wie groß die Verschiebung ist, kann das eine Flutwelle auslösen, die sich mit bis zu 800 km/h durch das Mittelmeer bewegt.
  2. Ein Hangrutsch in der Caldera
    Die steilen Wände der Santorini-Caldera sind instabil. Ein starkes Beben oder eine plötzliche Magmabewegung könnte eine große Gesteinsmasse ins Wasser stürzen lassen – und damit eine Tsunami-Welle auslösen. Das Mittelmeer ist im Vergleich zum offenen Ozean relativ klein, sodass ein solcher Tsunami in kürzester Zeit Küstenstädte erreichen könnte.
  3. Ein plötzlicher Vulkanausbruch
    Sollte es zu einer explosionsartigen Eruption kommen, könnte die verdrängte Wassermasse ebenfalls eine große Welle auslösen. Ein Beispiel für dieses Szenario ist der Ausbruch des Krakatau im Jahr 1883, der Tsunami-Wellen bis nach Australien schickte.

Die Frage ist nicht, ob es passieren kann – sondern wann.


Was würde ein Tsunami im Mittelmeer anrichten?

Viele Menschen denken bei Tsunamis an den Pazifik oder den Indischen Ozean – an Orte, die in der Vergangenheit von verheerenden Wellen getroffen wurden. Doch das Mittelmeer ist keineswegs sicher.

Ein durch Santorini ausgelöster Tsunami könnte in weniger als einer Stunde Küsten in Griechenland, der Türkei, Italien oder Nordafrika erreichen. Besonders gefährdet wären Inseln wie Kreta, Rhodos oder die Kykladen, aber auch stark besiedelte Städte wie Athen oder Alexandria.

Und weil das Mittelmeer relativ eng ist, können sich Tsunami-Wellen hier besonders hoch auftürmen. Anstatt sich über Tausende Kilometer auszubreiten wie im Pazifik, werden sie schnell an die Küsten gedrückt und entfalten dort ihre zerstörerische Kraft.

In manchen Regionen gibt es Frühwarnsysteme, aber seien wir ehrlich: Im Mittelmeerraum ist die Tsunami-Vorsorge längst nicht so ausgeprägt wie in Japan oder Indonesien. Und das ist ein echtes Problem.


Ist Santorini ein schlafender Drache?

Einerseits ist die Insel ein beliebtes Urlaubsparadies – andererseits tickt hier eine geologische Zeitbombe.

Die Wissenschaft beobachtet die Region genau. Seismometer registrieren selbst kleinste Erschütterungen, Gassensoren messen vulkanische Aktivität, GPS-Daten zeigen Bodenbewegungen. Doch trotz aller Technik bleibt die Vorhersage von Erdbeben oder Tsunamis eine der größten Herausforderungen der Geologie.

Ein Szenario wie der Ausbruch von 3.600 Jahren, der möglicherweise zum Untergang der minoischen Kultur beitrug, wäre katastrophal. Doch es gibt auch optimistischere Szenarien: Kleinere Ausbrüche, die zwar spektakulär, aber nicht zerstörerisch sind, oder Beben, die Energie langsam abbauen, anstatt sie in einem großen Schlag freizusetzen.

Die Natur wird am Ende entscheiden.


Was kann getan werden?

Sollte man Santorini meiden? Nein, natürlich nicht! Aber die Menschen müssen sich der Risiken bewusst sein.

🔹 Mehr Forschung und Überwachung: Nur durch bessere Daten können wir Frühwarnsysteme verbessern und Risiken besser einschätzen.

🔹 Tsunami-Warnsysteme für das Mittelmeer ausbauen: In manchen Regionen gibt es sie bereits, aber sie müssen verbessert und in Tourismus-Hotspots bekannter gemacht werden.

🔹 Bessere Notfallpläne: Hotels, Fähren, Anwohner – alle sollten wissen, was im Fall eines Bebens oder Tsunamis zu tun ist.

🔹 Bewusstsein schärfen: Wer Urlaub auf Santorini macht, sollte wissen, dass es eine geologisch aktive Zone ist. Wissen kann im Ernstfall Leben retten.

Santorini ist ein Ort von atemberaubender Schönheit – aber auch ein Ort, an dem die Erde eine lange Erinnerung hat. Die Frage ist nicht, ob sich die Natur eines Tages wieder zu Wort meldet. Die Frage ist, ob wir bereit sind, darauf zu hören.

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