Tag & Nacht


Kurzärmelig im Café sitzen, barfuß durch den Sand spazieren, die Sonne im Gesicht – und das mitten im November. Was klingt wie eine Szene aus einem Frühbucherprospekt für die Kanaren, ist in diesem Jahr Realität in Frankreich. Vom Mittelmeer bis zum Atlantik erleben die Menschen derzeit einen Spätherbst, der mehr mit Mai als mit November zu tun hat.

In Biarritz kletterte das Thermometer kürzlich auf über 24 Grad, an der Mittelmeerküste rund um den Grau-du-Roi genossen Urlauber Temperaturen jenseits der 20-Grad-Marke. Ein Bild, das in der kollektiven Erinnerung eher zu Spätsommerurlauben als zur Vorweihnachtszeit gehört. Der November, sonst ein Monat der grauen Himmel, des Regens und der sinkenden Temperaturen, zeigt sich dieses Jahr von seiner mildesten Seite – und das flächendeckend.

Eine Wärme, die nicht mehr überrascht

Wer jetzt noch von Wetterkapriolen spricht, verkennt den Ernst der Lage. Meteorologen sprechen von Temperaturen, die regional sechs bis zehn Grad über den langjährigen Durchschnittswerten liegen. Und das ist kein Einzelfall mehr: Solche Anomalien häufen sich. Die „neue Normalität“ zeigt sich im ständigen Überschreiten von Temperaturrekorden.

Die Jahresbilanz 2025 wird voraussichtlich erneut in die Liste der wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen eingehen – sowohl weltweit als auch in Frankreich. Und auch wenn es angenehm ist, den November im T-Shirt zu verbringen, liegt über allem ein dumpfes Gefühl: Das hier ist nicht einfach nur ein schöner Herbst. Das ist Klimawandel zum Anfassen.

Zwischen Terrasse und Unbehagen

Die Stimmung ist gespalten. Einerseits freuen sich viele über die verlängerten Sonnenstunden, über Tage, die sich wie Urlaub anfühlen. Andererseits schwingt bei nicht wenigen Menschen ein mulmiges Gefühl mit. Ein Kellner in Biarritz bringt es auf den Punkt: „Das fühlt sich nicht mehr normal an.“

Wenn die klassische Heizperiode ausfällt, spart das zwar kurzfristig Energie. Doch auf lange Sicht stellt sich die Frage: Was passiert mit den natürlichen Rhythmen? Mit Flora und Fauna, die auf Abkühlung eingestellt sind? Mit Böden, die im Winter zur Ruhe kommen sollen?

Schon jetzt zeigen sich Auswirkungen. Einige Pflanzen blühen zu früh, Insektenzyklen verschieben sich, und das ökologische Gleichgewicht gerät ins Wanken. Die Landwirtschaft steht vor Herausforderungen, die weit über einen verpassten Erntezyklus hinausgehen.

Der November wird zum Symbol

Was dieser November so deutlich macht: Der Klimawandel ist längst in unseren Alltag eingesickert. Er ist kein abstraktes Zukunftsszenario mehr, sondern Realität. Man sieht es, man spürt es – und man weiß insgeheim: Das wird nicht das letzte Mal sein.

Die gute Nachricht? Noch ist Zeit, gegenzusteuern. Noch lassen sich Emissionen reduzieren, Prozesse anpassen, Gewohnheiten überdenken. Doch das Zeitfenster wird kleiner.

Denn wenn ein Monat wie der November, einst Symbol für Kälte, Nebel und den ersten Frost, plötzlich die Leichtigkeit eines Frühsommers trägt – dann ist es höchste Zeit, sich neu zu orientieren.

Autor: Andreas M. Brucker

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