Tag & Nacht




Einmal kurz posieren, Selfie knipsen, hochladen – und schon ist die Botschaft in der Welt. Riesige Buchstaben, die die Namen von Städten formen, sind längst mehr als nur Schilder. Sie sind ein weltweites Phänomen, ein Mix aus Marketing, Tourismusmagnet und urbanem Statement. Doch wie so oft bei solchen Modeerscheinungen: Begeisterung trifft auf Skepsis.


Von Hollywood in die Welt

Eigentlich begann alles als banaler Werbegag. 1923 wurde in den Hügeln von Los Angeles der Schriftzug „Hollywoodland“ errichtet – als Reklame für ein Bauprojekt. Heute ist er eines der bekanntesten Wahrzeichen der Welt. Seine Silhouette ziert T-Shirts, Poster und Instagram-Feeds.

Kein Wunder also, dass Städte weltweit auf die Idee kamen, den Effekt für sich zu nutzen. „I Amsterdam“ machte Schule, Toronto setzte ein leuchtendes „Toronto“-Logo am Wasser auf, Lyon schwört auf „OnlyLyon“. Es geht dabei um weit mehr als hübsche Dekoration: Die Botschaften sollen Identität stiften, Stolz wecken – und Touristen in Scharen anziehen.


Frankreich entdeckt die XXL-Buchstaben

Auch in Frankreich greift der Trend um sich. Nach der Pandemie, als viele Städte neue Wege suchten, Besucher zurückzugewinnen, schossen die Installationen aus dem Boden. Reims, Sedan, Troyes – sie alle setzten auf große Lettern, die zum Fotografieren einladen und so die Stadt digital vervielfältigen.

Das Prinzip ist einfach: Ein Foto vor den Buchstaben, hochgeladen auf Social Media, und schon reist die Stadt digital um die Welt. Für die lokale Wirtschaft ein Segen – für Cafés, Hotels und Boutiquen bedeutet jeder geteilte Schnappschuss potenziell neue künftige Kundschaft.


Bretagne im Schriftfieber

Besonders sichtbar ist dieser Trend derzeit in der Bretagne. Brest, Lorient, Saint-Brieuc, Plouescat, Lannion – die Städte lassen sich ihre Namen in mehreren Metern Höhe aufstellen.

In Lorient etwa wurden im Juni 2025 Buchstaben von 2,40 Metern Höhe enthüllt, gestaltet von engagierten Schüler:innen. Seitdem drängen sich Passanten davor, Touristengruppen bitten einander: „Könnt ihr kurz rüberrücken fürs Foto?“ – schon wird der Schriftzug zum Begegnungsort.

Man könnte fast sagen: Die Lettern selbst werden zu Sehenswürdigkeiten, unabhängig von dem, was drumherum geschieht.


Doch nicht alle sind begeistert

Wo es Fans gibt, da gibt es auch Kritiker. In Brest zum Beispiel tauchten die Buchstaben auf Google Maps mit dem Spottlabel „lettres moches“ auf – hässliche Buchstaben. Manche Anwohner stören sich an der Monumentalität, andere an der Banalität: Warum ein Schriftzug, wenn doch die Stadt selbst so viele authentische Ansichten bietet?

Dazu kommt die Bürokratie. Wer in der Nähe historisch geschützter Orte baut, braucht die Zustimmung der Bâtiments de France, der französischen Denkmalbehörde. Um Ärger zu vermeiden, greifen manche Gemeinden auf mobile Varianten zurück, die flexibel auf- und abgebaut werden können.


Zwischen Marketing und Kultur

Befürworter verweisen auf die wirtschaftliche Wirkung. Ein attraktives Fotomotiv bedeutet Sichtbarkeit – und Sichtbarkeit ist in der Logik des Tourismus bares Geld. Gegner dagegen mahnen: Städte sollten sich nicht auf austauschbare Marketing-Formeln reduzieren. Was unterscheidet schließlich „Brest“ in drei Meter Höhe von „Reims“ oder „Lyon“?

Die eigentliche Herausforderung lautet also: Wie lassen sich moderne Symbole einfügen, ohne das bestehende Stadtbild zu verfälschen? Wie kann ein Schriftzug Teil der Identität werden, statt bloß ein Fremdkörper im Stadtraum zu sein?


Ein Trend mit Zukunft – aber auch mit Fallstricken

Eines ist klar: Solche Riesenschriftzüge verschwinden so schnell nicht wieder. Sie bedienen ein Bedürfnis unserer Zeit – das nach Selfies, nach schnell konsumierbaren, teilbaren Bildern. Sie sind praktisch gebaute Hashtags im öffentlichen Raum.

Aber sie zwingen Städte auch zu einer Gratwanderung. Zwischen Instagram-Attraktion und kultureller Substanz. Zwischen Marketing-Kalkül und echter urbaner Identität.

Vielleicht entscheidet am Ende nicht die Größe der Buchstaben über ihren Erfolg, sondern die Frage: Erzählen sie eine Geschichte – oder sind sie bloß ein Wort?

Autor: C.H.

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