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Die US-Umweltpolitik steht erneut vor einer tektonischen Verschiebung. Am 29. Juli 2025 gab die Regierung von Donald Trump offiziell bekannt, eine der zentralen Entscheidungen der amerikanischen Klimapolitik rückgängig machen zu wollen: das sogenannte „Endangerment Finding“ aus dem Jahr 2009. Die Maßnahme markiert einen drastischen Bruch mit der wissenschaftlich fundierten Klimapolitik früherer Regierungen und könnte weitreichende Folgen für die Umweltgesetzgebung der Vereinigten Staaten haben.

Die Entscheidung hat nicht nur symbolischen Charakter – sie untergräbt die rechtliche Grundlage für nahezu alle bundesstaatlichen Klimaschutzmaßnahmen der letzten anderthalb Jahrzehnte.

Der „Endangerment Finding“ als rechtliches Fundament des Klimaschutzes

Im Jahr 2009 stellte die Environmental Protection Agency (EPA) unter Präsident Barack Obama fest, dass Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan die öffentliche Gesundheit gefährden. Gestützt auf den Clean Air Act von 1970, gab dieser Befund der EPA das Mandat, Emissionen von Treibhausgasen zu regulieren – zunächst bei Fahrzeugen, später auch in der Industrie und im Energiesektor.

Der Supreme Court hatte bereits 2007 im Fall Massachusetts v. EPA entschieden, dass die EPA befugt sei, Treibhausgase als Schadstoffe zu behandeln, sofern sie eine Gefährdung nachweise. Der Endangerment Finding war also nicht nur wissenschaftlich, sondern auch juristisch zentral – er wurde Grundlage für Standards bei Autoemissionen, Kraftwerken und Methanlecks in der Öl- und Gasindustrie.

Eine Rückabwicklung mit politischem Kalkül

Die jetzige Entscheidung erfolgt unter der erneuten Präsidentschaft Donald Trumps, der bereits in seiner ersten Amtszeit (2017–2021) zahlreiche Umweltauflagen abgeschwächt hatte. Der neue Administrator der EPA, der Trump-treue Republikaner Lee Zeldin, erklärte im Podcast „Ruthless“, die damalige Entscheidung sei „intellektuell fehlerhaft“ gewesen und habe der amerikanischen Wirtschaft „immensen Schaden“ zugefügt.

Zeldin argumentierte, die EPA habe sich 2009 auf „wissenschaftliche Abkürzungen“ verlassen, obwohl der damalige Befund auf über 100 Studien und dem IPCC-Konsens beruhte. Die Rücknahme des Endangerment Finding würde faktisch bedeuten, dass die EPA keine Kompetenz mehr hätte, Treibhausgasemissionen zu regulieren. „Alle Emissionsnormen für Großemittenten werden damit hinfällig“, analysierte der US-Experte Corentin Sellin auf X.

Wirtschaftliche Deregulierung statt Klimapolitik

Die Entscheidung wird als größter Schritt zur Deregulierung der amerikanischen Umweltgesetzgebung seit Jahrzehnten bezeichnet. Besonders betroffen wäre die Autoindustrie: Trump plant, Emissionsstandards und Vorgaben zur Energieeffizienz von Neuwagen deutlich zu lockern. Bereits 2020 hatte seine Regierung den „Clean Car Standard“ der Obama-Ära aufgeweicht. Nun könnte die gesamte Regulierungsbasis entfallen.

Lee Zeldin sprach von einem „Befreiungsschlag“ für Industrie und Wirtschaft – insbesondere für fossile Energieunternehmen, die sich seit Jahren gegen strenge Auflagen wehren. Doch Kritiker verweisen auf die langfristigen Kosten: Hitzewellen, Waldbrände und steigende Meeresspiegel verursachten 2023 allein in den USA Klimaschäden von über 150 Milliarden Dollar, wie der Congressional Budget Office schätzt.

Ein politisch-juristisches Tauziehen

Der Schritt dürfte juristische Konsequenzen nach sich ziehen. Mehrere Umweltorganisationen sowie demokratisch geführte Bundesstaaten – darunter Kalifornien und New York – kündigten bereits an, gegen die Rücknahme des Endangerment Finding zu klagen. Sie stützen sich dabei auf das Verwaltungsrecht und auf Präzedenzfälle wie Massachusetts v. EPA.

Zudem stellt sich die Frage, ob die EPA eine solch tiefgreifende Änderung ohne Zustimmung des Kongresses überhaupt rechtsgültig umsetzen kann. Die Biden-Administration hatte 2022 im Rahmen des Inflation Reduction Act Klimaschutzmaßnahmen gesetzlich verankert. Doch diese betreffen primär Investitionen, nicht regulatorische Kompetenzen der EPA.

Ein gefährlicher Präzedenzfall

Die Rücknahme des Endangerment Finding ist mehr als ein bürokratischer Akt – sie sendet ein deutliches Signal: Die Vereinigten Staaten entfernen sich unter Donald Trump erneut vom globalen Klimaschutzkonsens. Bereits beim Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen 2017 hatte Trump international für Unverständnis gesorgt. Die jetzige Entscheidung könnte eine ähnliche Wirkung entfalten, insbesondere vor dem UN-Klimagipfel im Herbst 2025.

In der innenpolitischen Auseinandersetzung markiert die Maßnahme den Versuch, wissenschaftsbasierte Umweltpolitik durch ideologisch motivierte Deregulierung zu ersetzen. Sollte die Rücknahme Bestand haben, wären die föderalen USA de facto nicht mehr handlungsfähig in der Bekämpfung der Klimakrise.

Von Andreas Brucker

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