Tag & Nacht




Frankreich ist nicht Japan. Und die Côte d’Azur ist kein Erdbebenepizentrum. Doch das heißt nicht, dass das Meer ruhig bleibt.

Denn die Gefahr eines Tsunamis ist real – auch wenn sie bislang von vielen unterschätzt wird.

Die Frage ist längst nicht mehr: ob. Sondern: wann.

Geschichte, die Wellen schlägt

Frankreichs Festland hat in der Vergangenheit bereits Wellen von ungewöhnlicher Wucht erlebt. Ganze 57 Tsunamis seit dem 16. Jahrhundert wurden dokumentiert – die meisten davon im Mittelmeerraum. Es waren keine Monsterwellen, wie man sie aus Katastrophenfilmen kennt, aber sie hatten es in sich.

Das eindrucksvollste Beispiel? Der Tsunami von 1979 in Nizza. Damals brach unter Wasser eine Felsformation ab – ausgelöst durch Bauarbeiten zur Erweiterung des Flughafens. Binnen kürzester Zeit türmten sich mehrere Meter hohe Wellen auf. Elf Menschen starben. Die Szene: chaotisch, surreal, verstörend.

Und es blieb nicht bei diesem einen Mal.

2003 – ein Erdbeben vor der algerischen Küste. In Frankreich: Wellen von gerade einmal zehn Zentimetern. Klingt harmlos? Nicht für die Häfen. Mehrere Anlagen erlitten Schäden, Boote wurden losgerissen, Stege zerstört.

Die Lehre daraus: Auch kleine Wellen können großen Schaden anrichten.

Die stille Bedrohung im Mittelmeer

Das Mittelmeer – Urlaubsparadies, Postkartenidyll, Sehnsuchtsort. Und gleichzeitig ein Pulverfass.

Unter der Oberfläche liegt ein geologisches Netzwerk aus tektonischen Spannungen. Afrika drückt gegen Europa. Italien, Griechenland, Nordafrika – allesamt Zonen erhöhter seismischer Aktivität. Laut der UNESCO liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tsunami mit Wellen von über einem Meter Höhe in den nächsten 30 Jahren das Mittelmeer trifft, bei nahezu 100 Prozent.

Ein klares Warnsignal.

Besonders gefährdet: die französische Mittelmeerküste. Von der mondänen Côte d’Azur über Toulon, La Ciotat, die Küste der Maures bis hinunter nach Perpignan und rüber zur Nordwestküste Korsikas – überall dort gibt es eine hohe Bevölkerungsdichte und touristischen Hochbetrieb.

Ein Tsunami in der Hauptsaison? Ein Albtraum.

Frankreichs Antwort: vorbereitet, aber genügt das?

Frankreich ruht nicht. Seit 2012 ist das Centre national d’alerte aux tsunamis (CENALT) aktiv – ein spezialisiertes Frühwarnzentrum, das die westliche Mittelmeerregion und den Nordostatlantik überwacht. Innerhalb von 15 Minuten nach einem potenziell gefährlichen Seebeben kann es Alarm schlagen.

Aber was nützt ein Alarm, wenn niemand weiß, wie man damit umgeht?

Genau deshalb gibt es seit einiger Zeit auch regelmäßig groß angelegte Übungen. Im Januar 2024 zum Beispiel wurde in neun südfranzösischen Départements eine Tsunamiwarnung ausgelöst – als Test. Ziel: die Reaktionsketten überprüfen, die Bevölkerung sensibilisieren.

Denn Vorbereitung ist mehr als Sirenen und Apps. Sie beginnt im Kopf.

Klimawandel – der stille Verstärker

Ein zusätzlicher Faktor, der die Tsunami-Gefahr potenziert: der Klimawandel.

Mit dem Anstieg des Meeresspiegels verändern sich nicht nur Küstenlinien. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass bereits kleinere Wellen größere Schäden anrichten, wächst. Und das Zusammenspiel aus Urbanisierung, Küstenerosion und dicht besiedelten Stränden macht die Situation nicht gerade einfacher.

Kurzum: Was früher glimpflich ausgegangen wäre, könnte heute zur Katastrophe werden.

Was, wenn es morgen passiert?

Wie würden wir reagieren, wenn plötzlich die Sirenen heulen, das Handy vibriert, eine Durchsage ertönt: „Alerte tsunami – éloignez-vous des côtes immédiatement“?

Wissen wir, was zu tun ist?

Haben wir einen Plan?

Oder verlassen wir uns – wie so oft – darauf, dass schon nichts passieren wird?

Vielleicht ist genau das der gefährlichste Irrtum von allen.

Fazit: Keine Panik, aber Klarheit

Tsunamis in Frankreich? Ja – selten, aber möglich. Und zunehmend wahrscheinlich.

Die geologischen Gegebenheiten, die Bevölkerungsverteilung, der Tourismus und der Klimawandel formen gemeinsam ein Szenario, das ernst genommen werden muss. Ohne Alarmismus, aber mit Aufmerksamkeit.

Denn wer vorbereitet ist, kann schützen.

Sich selbst. Und andere.

Autor: Andreas M. Brucker

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