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Mit der Unterzeichnung eines neuen Handelsabkommens zwischen der EU und den USA ist am Sonntag in Turnberry eine drohende Eskalation des transatlantischen Zollkonflikts zunächst abgewendet worden. Doch die Kritik am Inhalt des Abkommens wächst – vor allem aus Frankreich. Zwar bringt die Vereinbarung kurzfristig Planungssicherheit für Unternehmen, doch offenbart sie zugleich strukturelle Schwächen europäischer Handelspolitik.

Die Kernelemente des Abkommens sind eindeutig: Die USA erheben künftig pauschal 15 % Zölle auf nahezu alle EU-Importe. Lediglich ausgewählte Schlüsselbranchen wie die Luftfahrt, generische Medikamente, bestimmte chemische Erzeugnisse, Halbleiterausrüstung und einige Agrarprodukte bleiben davon ausgenommen. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU zu umfangreichen Importen amerikanischer Energie – in Höhe von 750 Milliarden Dollar – sowie zu zusätzlichen Investitionen von 600 Milliarden Dollar in den US-Markt. Die ursprünglich angedrohten 30 % Strafzölle wurden damit vermieden.

Frankreich warnt vor strategischem Ungleichgewicht

Der französische Europaminister Benjamin Haddad äußerte sich kritisch. Das Abkommen verschaffe der europäischen Wirtschaft lediglich eine temporäre Atempause, sei aber strukturell unausgewogen. Zwar sei es positiv, dass Branchen mit hoher Relevanz für Frankreich – etwa die Luftfahrt, Spirituosen oder die Pharmabranche – von den Zollerhöhungen ausgenommen bleiben. Doch insgesamt sei das Ergebnis für Europa unbefriedigend. Haddad rief zu einer umfassenden industriepolitischen Gegenstrategie auf, um einem schleichenden transatlantischen Wettbewerbsverlust entgegenzuwirken.

Seine Warnung ist nicht unbegründet. Während die USA künftig mit klaren Investitionszusagen und energiepolitischen Vorteilen rechnen können, bleibt die europäische Seite in vielen Punkten in der Defensive. Der Kompromiss zeigt, wie verwundbar die EU in einer Zeit ist, in der geopolitische Macht zunehmend über ökonomische Hebel ausgeübt wird.

Europas Entscheidung unter Zeitdruck

Die Vereinbarung kam unter massivem zeitlichen Druck zustande. Bereits ab dem 1. August hätten neue US-Zölle in Höhe von 30 % auf europäische Ausfuhren gedroht – ein Szenario, das insbesondere die Automobilbranche, den Maschinenbau sowie die Chemie- und Lebensmittelindustrie empfindlich getroffen hätte. Die Vermeidung dieser Eskalation ist zweifellos ein kurzfristiger Erfolg der europäischen Verhandler. Doch der Preis ist hoch: Ein genereller 15 %-Zollsatz trifft breite Teile der europäischen Exportwirtschaft und könnte mittelfristig Wettbewerbsnachteile zur Folge haben.

Zudem bleibt unklar, wie dauerhaft die US-amerikanische Seite zu diesem Abkommen steht. Angesichts der erratischen Handelspolitik der Trump-Administration erscheint auch dieses Abkommen weniger als strategische Partnerschaft, sondern eher als taktisches Manöver zur Durchsetzung einseitiger Vorteile.

Zwischen wirtschaftlicher Entspannung und struktureller Schwäche

Tatsächlich gelingt es dem Abkommen, die schlimmsten wirtschaftlichen Verwerfungen zu verhindern. Die gegenseitige Zollaussetzung auf bestimmte strategische Güter schafft Luft für wichtige Industriezweige. Auch die politische Symbolik ist nicht zu unterschätzen: Der Westen zeigt sich, zumindest vordergründig, handlungsfähig und geschlossen gegenüber einem instabilen geopolitischen Umfeld.

Doch unter der Oberfläche bleiben Spannungen bestehen. Während sich die USA mit massiven Energie- und Investitionszusagen absichern, erhält die EU kaum strukturelle Zusicherungen. Die bisherigen US-Sonderzölle auf Stahl und Aluminium in Höhe von 50% etwa bleiben unangetastet. Und der europäische Zugang zum US-Markt bleibt asymmetrisch – zumal europäische Digitalunternehmen weiterhin unter fragmentierten Regeln und fehlendem Marktzugang leiden.

Der Ruf nach einer souveränen Handels- und Industriepolitik

Das Abkommen macht deutlich, wie dringend Europa eine kohärente, strategisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik benötigt. Der französische Vorschlag eines „Manhattan-Projekts“ für künstliche Intelligenz, Quantentechnologie und grüne Transformation weist in die richtige Richtung. Auch die Debatte über eine Digitalsteuer für US-Technologiekonzerne dürfte neue Dynamik erhalten.

Gleichzeitig müssen die Mitgliedstaaten die Rolle der EU-Kommission in der Handelspolitik kritisch hinterfragen. Der Wunsch nach Einigkeit darf nicht in ungleichen Kompromissen münden. Ein Abkommen, das auf Zeit entlastet, aber langfristig Europas strukturelle Schwächen verstärkt, kann keine tragfähige Grundlage für die künftige Weltwirtschaftsordnung sein.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten bereit sind, dem Vertrag in seiner jetzigen Form zuzustimmen – oder ob sie Nachverhandlungen verlangen. Die europäische Industrie jedenfalls wird sich darauf einstellen müssen, mit neuen Barrieren und erhöhtem Konkurrenzdruck zu leben. Und die politische Führung steht vor der Aufgabe, diese Entwicklungen nicht nur zu verwalten, sondern endlich zu gestalten.

Autor: P. Tiko

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