Die Nachricht kam wie ein leiser Donnerschlag: Boualem Sansal, der renommierte französisch-algerische Schriftsteller, sitzt nicht mehr in einer Zelle in Algier, sondern in der Botschaft Frankreichs in Berlin. Nach Tagen der Unsicherheit, politischen Spekulationen und diplomatischer Arbeit im Hintergrund ist klar: Sansal ist frei – zumindest fast.
Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot bestätigte am Sonntag, dass Sansal derzeit in der deutschen Hauptstadt unter dem Schutz der französischen Diplomatie ist. „Wir hoffen, ihn in den nächsten Tagen wieder in Frankreich begrüßen zu können“, erklärte Barrot bei einem Interview auf France Inter und franceinfoTV. Noch kurz zuvor lag Sansal in einem Berliner Militärkrankenhaus – geschwächt, aber lebendig.
Eine Gnade mit Signalwirkung
Dass Sansal das Gefängnis überhaupt verlassen durfte, ist auf eine politische Geste von hoher Tragweite zurückzuführen: Der algerische Präsident gewährte ihm Gnade – auf ausdrückliche Bitte des deutschen Bundespräsidenten. Eine symbolisch gewichtige Intervention, die zeigt, wie stark sich Berlin für den Menschenrechtsdiskurs im Maghreb engagiert.
Und Frankreich? Dort betont Außenminister Barrot: „Diese Befreiung ist vor allem ein Sieg der französischen und deutschen Diplomatie.“ Eine klare Spitze gegen all jene, die lautstarke öffentliche Kampagnen oder harsche Drohungen für wirksamer halten. „Es ist ein schallender Denkzettel für jene, die auf Härte, Brutalität und Polemik setzen“, fügte Barrot hinzu – ohne dabei Namen zu nennen. Doch die Spitze gegen Vertreter der Konservativen wie dem früheren Innenminister Bruno Retailleau, der Frankreichs Außenpolitik gerne mit markigen Worten flankiert, ist unüberhörbar.
Diplomatie ohne Schlagzeilen
Barrot nutzt den Moment, um ein politisches Konzept in den Vordergrund zu stellen, das im Schatten öffentlicher Debatten oft untergeht: die „diplomatie d’impact“, also eine Diplomatie, die auf Wirkung setzt – nicht auf Meinung. Anders gesagt: lieber stille Gespräche im Hinterzimmer als lautstarke Empörung auf Twitter. Die Befreiung Sansals sei ein Beleg dafür, dass diese Methode funktioniert.
Und sie ist offenbar keine Ausnahme. Barrot verweist auf insgesamt vier französische Staatsbürger, die in den letzten zehn Tagen aus Haft oder Geiselhaft befreit wurden – darunter Cécile Kohler und Jacques Paris, die in Iran inhaftiert waren, sowie Camilo Castro, der in Venezuela festgehalten wurde. Eine stille Erfolgsgeschichte französischer Außenpolitik, die kaum Schlagzeilen machte – bis jetzt.
Ein Leben zwischen Freiheit und Botschaftsmauern
Für Kohler und Paris bleibt die Freiheit jedoch relativ. Sie dürfen die französische Botschaft in Teheran nicht verlassen – ein Zustand, den Barrot als „radikale Veränderung ihres Alltags“ beschreibt. Endlich wieder telefonieren, endlich wieder lesen, endlich wieder ein gemeinsames Essen – banale Freuden, die nach Monaten in Isolation wie Luxus erscheinen.
Solche Details machen klar, wie zerbrechlich Freiheit in geopolitischen Krisengebieten sein kann. Und wie sehr der diplomatische Einsatz zählt, auch wenn er nicht immer sofort sichtbar ist. Gerade das macht Barrots Plädoyer für eine wirksame, diskrete Außenpolitik so nachvollziehbar.
Die Rolle Deutschlands? Unverkennbar entscheidend. Die Berliner Fürsprache war laut Insidern maßgeblich für Sansals Entlassung. Eine enge Abstimmung mit Paris war offensichtlich – ein weiteres Beispiel dafür, wie europäische Wertegemeinschaft in der Praxis funktionieren kann.
Und Sansal selbst? Der Schriftsteller, der in der Vergangenheit oft lautstark gegen das Regime in Algerien polemisierte, bleibt vorerst still. Kein Interview, kein öffentlicher Auftritt – nur die Hoffnung, bald wieder französischen Boden zu betreten. Für viele, die seine Literatur schätzen und seine mutige Stimme vermisst haben, wäre das eine ersehnte Rückkehr.
Doch bleibt auch eine Frage offen: Wie geht es weiter für Sansal? Wird er weiterschreiben, so unerschrocken wie früher? Oder hat ihn die Erfahrung der Haft gebrochen?
Man darf gespannt sein – und hoffen, dass Diplomatie auch künftig nicht nur Türen öffnet, sondern Leben rettet.
Autor: Andreas M. Brucker
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