Die diplomatischen Spannungen rund um den Ukraine-Krieg nehmen erneut Fahrt auf – diesmal ausgelöst durch eine Aussage des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz. Er erklärte, dass es keine Reichweitenbeschränkungen mehr für westliche Waffenlieferungen an Kiew gebe. Die russische Reaktion kam prompt und deutlich.
Dmitri Peskow, Sprecher von Präsident Putin, nannte diese Entscheidung „ziemlich gefährlich“. In einer Videoansprache, verbreitet über russische Medien, kritisierte er das Ende dieser militärischen Zurückhaltung scharf. Kein Wunder: Für den Kreml steht nicht nur die militärische Lage auf dem Spiel – sondern auch das diplomatische Narrativ, mit dem Russland seit Beginn des Krieges versucht, seine Außenpolitik zu rechtfertigen.
Faktisch bedeutet die Aussage von Merz zwar nicht automatisch, dass Deutschland nun umgehend weitreichende Marschflugkörper wie den Taurus liefert. Aber sie markiert einen politischen Wendepunkt. Bisher galt die Reichweite der gelieferten Waffensysteme als heikles Thema – denn Waffen mit großer Reichweite könnten tief ins russische Territorium vordringen. Ein Schritt, der Moskau zu weiteren Eskalationen veranlassen könnte.
Doch während Berlin (noch) zögert, setzt die Realität an der Front neue Maßstäbe. Russische Truppen melden, sie hätten die ukrainischen Dörfer Volodymyrivka und Bilovody in der Region Sumy eingenommen – etwa 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Moskau erklärt diese Angriffe mit dem Ziel, eine „Pufferzone“ gegen ukrainische Angriffe zu schaffen. De facto handelt es sich jedoch um einen weiteren Vorstoß auf ukrainisches Staatsgebiet.
Parallel dazu verstärkt Russland seine Luftoffensive in bisher unbekanntem Ausmaß. In der Nacht von Sonntag auf Montag wurden laut ukrainischem Militär 355 Drohnen auf die Ukraine abgefeuert – so viele wie noch nie seit Kriegsbeginn. 288 davon sollen abgefangen worden sein. Ein klares Zeichen, dass der Kreml versucht, mit Drohnen und Raketen – darunter neun Marschflugkörper vom Typ X-101 – die ukrainische Infrastruktur systematisch zu zerschlagen.
Was macht das mit der ukrainischen Bevölkerung? Präsident Selenskyj spricht von einer „dritten Nacht in Folge russischen Terrors“. Der psychologische Druck, den diese Angriffe ausüben, lässt sich kaum in Zahlen fassen. Wie lebt es sich in einem Land, das jede Nacht mit massiven Drohnenangriffen rechnen muss?
Währenddessen eskaliert auch der Ton in den USA. Donald Trump nannte Wladimir Putin „verrückt“ – eine Aussage, die in ihrer Deutlichkeit überrascht. Noch bemerkenswerter ist jedoch Trumps Prognose: Sollte Putin versuchen, die gesamte Ukraine zu besetzen, „könnte das den Untergang Russlands bedeuten“. Worte, die man sonst eher aus sicherheitspolitischen Thinktanks hört – nicht von einem US-Präsidenten.
Der Kreml ließ diese Provokation natürlich nicht unbeantwortet. Moskaus Sprecher konterte, Putin schütze lediglich „die Sicherheit Russlands“. Ein altbekanntes Argument – und doch so brisant wie eh und je. Schließlich nutzt Russland dieses Narrativ, um nahezu jede militärische Maßnahme zu rechtfertigen. Doch wann kippt der Spagat zwischen Verteidigung und Aggression endgültig?
Ein Lichtblick inmitten der Gewalt: Der größte Gefangenenaustausch seit Kriegsbeginn fand am Sonntag statt. 303 ukrainische Soldaten wurden gegen ebenso viele russische Kämpfer ausgetauscht. Für viele Familien auf beiden Seiten bedeutete das: endlich ein Wiedersehen nach Monaten der Ungewissheit. Solche Momente geben Hoffnung – auch wenn sie den Krieg nicht beenden.
Und was bedeutet all das für Europa? Die Aufhebung der Waffenreichweiten-Beschränkung signalisiert, dass der Westen mehr Vertrauen in die ukrainische Militärführung setzt – und möglicherweise auch weniger Furcht vor Moskaus Drohgebärden hat. Doch die Grenze zwischen Unterstützung und Eskalation bleibt dünn. Wird Deutschland als nächstes doch noch den Taurus liefern?
Es scheint, als würde der Krieg immer unberechenbarer. Moskau droht, Washington provoziert, Berlin tastet sich vor – und die Ukraine verteidigt sich Nacht für Nacht.
Von Andreas M. Brucker
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