Tag & Nacht




Angesichts immer häufigerer und drastischerer Dürreperioden in Südwestfrankreich rückt ein ambitioniertes Großprojekt in den Fokus: Rund 30 Millionen Kubikmeter Wasser sollen jährlich aus der Dordogne in die Charente umgeleitet werden, um Trinkwasserreserven zu sichern und die Landwirtschaft überlebensfähig zu halten. Die Idee ist nicht neu, doch ihr Umfang und die symbolische Tragweite machen sie zu einem echten Politikum.


Notlösung oder visionärer Kraftakt?

Initiiert von der Wasserbehörde Adour-Garonne und unterstützt von den Départements Charente, Charente-Maritime und Corrèze, sieht das Vorhaben vor, in den Wintermonaten – also in Zeiten mit hohem Wasserstand – das lebenswichtige Nass per Rohrsystem über den Höhenzug des Plateau de Millevaches bis in die Charente zu transportieren. Ziel: Versickerung in Grundwasserspeicher und Stärkung ausgetrockneter Flussläufe. Die Dringlichkeit ist unbestreitbar: Studien zufolge könnten die Wasserstände der Flüsse im Charente-Becken bis 2050 um bis zu 40 % sinken.

Das Projekt trifft einen Nerv – denn es geht längst nicht nur um Wasser.


Ein Milliardenprojekt mit politischen Sprengstoff

Kostenpunkt: 300 bis 600 Millionen Euro. Bauzeit: rund vier Jahre. Inbetriebnahme: frühestens 2035. Für diese Zahlen gibt es in Zeiten leerer öffentlicher Kassen verständlicherweise keine stehenden Ovationen. Und doch plädieren Befürworter wie Corrèze-Präsident Pascal Coste für mehr Mut. Sie sprechen von „interterritorialer Solidarität“ und verweisen auf Projekte wie Aqua Domitia, bei dem Wasser aus der Rhône in dürregeplagte Regionen Südfrankreichs geleitet wird.

Die Logik dahinter: Wenn Naturgesetze versagen, muss der Mensch sie eben überlisten. Doch genau da fangen die Diskussionen erst an.


Heftiger Gegenwind von Umweltverbänden und Experten

Kritiker äußern sich alarmiert. Für sie ist der geplante Wassertransfer nichts weniger als ein Offenbarungseid – eine Kapitulation vor einem überholten Agrarmodell, das mit Monokulturen und hohem Wasserverbrauch längst nicht mehr ins Zeitalter des Klimawandels passt.

Sie fürchten zudem erhebliche Eingriffe in sensible Ökosysteme: Die Dordogne, immerhin ein UNESCO-Biosphärenreservat, könnte unter dem massiven Wasserentzug leiden – mit Folgen für Flora, Fauna und die Wasserqualität. Schon jetzt ist die Biodiversität in vielen Flusssystemen unter Druck – ein solcher Eingriff könnte das Gleichgewicht weiter destabilisieren.


Alternative Wege werden oft übersehen

Wäre es nicht sinnvoller, zuerst die bestehenden Infrastrukturen zu optimieren? Die Verluste durch undichte Leitungen sind vielerorts dramatisch. Und die Wiederverwendung aufbereiteter Abwässer – vielerorts gängige Praxis – wird in Frankreich bislang kaum genutzt. Auch sogenannte Ersatzspeicher, also Wasserreservoirs zur Überbrückung von Trockenzeiten, könnten ein Teil der Lösung sein – obwohl auch sie ökologisch nicht unumstritten sind.

Doch die große Frage bleibt: Wollen wir das System anpassen oder das System ändern?


Die Entscheidung rückt näher

Bis zum Sommer 2025 soll eine Machbarkeitsstudie Licht ins Dunkel bringen. Dann will die Wasseragentur Adour-Garonne den politischen Entscheidungsträgern eine Einschätzung zu technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten vorlegen. Erst danach soll entschieden werden, ob das Vorhaben in die nächste Phase geht.

Doch schon jetzt zeigt sich: Es geht hier nicht nur um ein technisches Projekt – es geht um eine gesellschaftliche Richtungswahl. Investieren wir Milliarden, um bestehende Wasserverbrauchsmodelle aufrechtzuerhalten? Oder nutzen wir die Wasserkrise als Hebel für eine tiefgreifende Transformation?


Zwischen Dürre und Druck – ein Land auf der Suche nach Lösungen

Die Diskussion rund um den Wassertransfer von der Dordogne in die Charente ist ein Spiegelbild der aktuellen Klima-Realität: Frankreich, wie viele andere Länder, muss dringend handeln. Aber wie? Die Antwort ist nicht einfach – denn einfache Lösungen gibt es in Zeiten des Klimawandels längst nicht mehr.

Vielleicht ist gerade das die Lehre aus dieser Debatte: Technischer Fortschritt allein reicht nicht – es braucht auch den Mut zur Veränderung.

Von M.A.B.

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