Suizid ist ein Thema, über das kaum jemand gerne spricht, obwohl es so nah und real ist. Jedes Jahr sterben weltweit etwa 700.000 Menschen durch Suizid – eine erschreckende Zahl, die nicht ignoriert werden darf. Der Welt-Suizid-Präventionstag am 10. September will genau hier ansetzen: Die Stigmatisierung brechen, Bewusstsein schaffen und Leben retten.
Aber wie sieht die Lage in Europa aus? Wie gehen Länder wie Frankreich und Deutschland mit diesem sensiblen Thema um? Gibt es Fortschritte oder verharren wir in veralteten Strukturen?
Die Situation in Deutschland: Fortschritte, aber auch noch viele Lücken
In Deutschland sterben jährlich etwa 10.000 Menschen durch Suizid – das sind dreimal so viele wie durch Verkehrsunfälle. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch höher, da Suizidversuche oft nicht gemeldet werden oder als Unfälle deklariert werden.
Deutschland hat sich in den letzten Jahren intensiver mit dem Thema Suizidprävention auseinandergesetzt. Es gibt immer mehr Kampagnen und Initiativen, die darauf abzielen, über mentale Gesundheit aufzuklären und Unterstützung anzubieten. Ein positives Beispiel ist das Nationale Suizidpräventionsprogramm, das seit 2002 existiert. Hier arbeiten über 90 Organisationen zusammen, um Aufklärung, Prävention und Forschung voranzutreiben. Auch die anonymen Angebote wie die Telefonseelsorge oder Online-Beratungsdienste spielen eine wichtige Rolle. Gerade für jüngere Menschen bieten niedrigschwellige digitale Angebote oft einen ersten Zugang zur Hilfe.
Doch trotz dieser Maßnahmen gibt es auch in Deutschland noch viele Baustellen. Der Zugang zu psychologischer Hilfe ist für viele Menschen erschwert – sei es durch lange Wartezeiten auf Therapieplätze oder die immer noch bestehende Scham, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften ist enorm, und oft dauert es Monate, bis jemand einen geeigneten Therapieplatz findet. Und dann bleibt immer die Frage: Kann sich jeder überhaupt die Therapie leisten, besonders in einem System, in dem einige Therapieformen nicht von den Krankenkassen übernommen werden?
Hinzu kommt, dass psychische Krankheiten immer noch stigmatisiert sind. Viele Betroffene trauen sich nicht, offen über ihre Probleme zu sprechen, aus Angst, von ihrem Umfeld nicht verstanden zu werden. Diese gesellschaftliche Isolation kann den Leidensdruck verstärken – oft der Beginn eines Teufelskreises.
Frankreich: Mehr Herausforderungen, weniger Struktur?
In Frankreich sieht die Lage ähnlich düster aus – wenn nicht sogar noch komplizierter. Mit einer der höchsten Suizidraten Europas (14,7 pro 100.000 Einwohner im Vergleich zu Deutschlands 11,3) ist die Problematik sehr offensichtlich. Auch in Frankreich nehmen sich jährlich über 10.000 Menschen das Leben. Warum fällt es Frankreich so schwer, gegen diese tragische Statistik anzukämpfen?
Ein großer Unterschied zu Deutschland ist der fehlende systematische Ansatz in der Suizidprävention. Während Deutschland ein nationales Präventionsprogramm aufgestellt hat, das eine breite Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren ermöglicht, gibt es in Frankreich oft einen Mangel an Koordination und Ressourcen. Zwar wurden in den letzten Jahren einige regionale Programme ins Leben gerufen, aber ein übergreifendes nationales Programm wie in Deutschland fehlt bislang.
Ein weiteres Problem ist der Zugang zur psychischen Gesundheitsversorgung. Ähnlich wie in Deutschland kämpfen viele Menschen in Frankreich mit langen Wartezeiten für einen Therapieplatz – manchmal bis zu einem Jahr. Das führt dazu, dass viele Betroffene gar nicht erst versuchen, professionelle Hilfe zu bekommen. Hierbei sind besonders die ländlichen Gebiete benachteiligt, wo der Zugang zu Psychologen und Psychotherapeuten oft schwieriger ist als in den Städten.
Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Ländern liegt im kulturellen Umgang mit dem Thema. In Frankreich herrscht teilweise noch eine „macho“-geprägte Haltung vor, die es vor allem Männern schwer macht, über ihre Gefühle zu sprechen oder Schwäche einzugestehen. Diese gesellschaftliche Erwartung kann dazu führen, dass Menschen sich eher zurückziehen, anstatt Hilfe zu suchen. Auch hier ist der Druck groß, die Fassade der Stärke aufrechtzuerhalten, was die Suizidrate insbesondere unter Männern in die Höhe treibt.
Wo liegt die Lösung? Austausch und Entstigmatisierung
Was können wir aus der Situation und en Zahlen der beiden Länder lernen? Eines ist klar: Es gibt nicht die eine Lösung. Doch es gibt Wege, die eingeschlagen werden müssen – in beiden Ländern.
In Deutschland liegt der Fokus auf dem Ausbau der psychologischen Versorgung. Lange Wartezeiten für Therapieplätze sind ein ernsthaftes Problem. Menschen, die akut gefährdet sind, brauchen sofortige Hilfe. Der bürokratische Aufwand und die Kosten müssen reduziert werden, damit der Zugang für alle Betroffenen – unabhängig von ihrer finanziellen Lage – gewährleistet ist. Zudem muss die Entstigmatisierung weiter vorangetrieben werden. Gerade in konservativen Kreisen oder älteren Generationen gibt es noch immer die Vorstellung, dass psychische Erkrankungen ein Zeichen von Schwäche seien. Auch hier sind Aufklärungskampagnen notwendig.
In Frankreich hingegen sollte dringend ein nationales Suizidpräventionsprogramm ins Leben gerufen werden, das sich am deutschen Modell orientiert. Die regionale Zersplitterung der Hilfsangebote verhindert eine effektive Koordination. Zudem muss die Regierung die psychologische Versorgung insbesondere in ländlichen Gebieten verbessern, um den Menschen vor Ort zu helfen.
In beiden Ländern – wie auch weltweit – bleibt die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen das größte Ziel. Nur, wenn Menschen sich trauen, über ihre Probleme zu sprechen, können sie auch die notwendige Hilfe erhalten. Der Welt-Suizid-Präventionstag erinnert uns jedes Jahr daran, dass wir noch lange nicht am Ziel sind – aber auch daran, dass es jeden Tag Menschen gibt, die kämpfen, die zuhören und die bereit sind, zu helfen.
Wenn man genauer hinschaut, merkt man: Jedes Land hat seine Herausforderungen, aber auch seine Ansätze. Doch die wichtigste Frage ist: Werden wir es gemeinsam schaffen, diese Tabus zu brechen?
Letztendlich sollte kein Mensch den Gedanken haben, dass sein Leben nicht lebenswert ist – weder in Deutschland noch in Frankreich oder anderswo.
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