Tag & Nacht


Wasser bis zur Türklinke – für viele Menschen in Ornans, einem kleinen Städtchen im französischen Département Doubs, ist das längst keine Seltenheit mehr. Wieder einmal ist die Loue über die Ufer getreten, wieder einmal haben die Fluten das gewohnte Leben durcheinandergebracht. Und wieder einmal zeigt sich: In dieser Region lebt man nicht gegen das Wasser, sondern mit ihm.

Es war Montagabend, kurz vor Mitternacht, als der Pegel seinen Höchststand erreichte. Zwei Meter – das ist mehr als nur nasse Füße. Ein Mann trat vor die Tür, maß mit wachem Blick und ruhiger Hand den Wasserstand. Nicht aus Neugier, sondern aus Routine. Denn wer hier lebt, kennt den Rhythmus der Flut.

Am nächsten Morgen steht das Wasser noch in manchen Gärten, umspült Sträucher, schwappt an Haustüren. Doch Panik? Fehlanzeige. In Ornans kennt man seine Pappenheimer – auch wenn sie aus Wasser bestehen.

Alain Verdenet, ein langjähriger Anwohner, nimmt’s gelassen. „Wir wissen, was zu tun ist. Man hebt die Möbel hoch, bringt die empfindlichen Sachen in Sicherheit, fertig“, sagt er – als sei das Einrichten gegen die Flut eine zweite Natur geworden. Und vielleicht ist es das längst.

Nicht weit entfernt, in einem Notariat, stapeln sich Bürostühle auf Tischen, Drucker balancieren auf Regalen. Christian Zédet, der dort arbeitet, sagt: „Das Anstrengende ist gar nicht das Wasser. Sondern, dass man nicht mehr richtig arbeiten kann.“ Termine werden verschoben, Akten bleiben liegen. Statt juristischer Paragraphen geht es nun um Sandsäcke und Sperrholzplatten.

Hier, im Herzen der Franche-Comté, sind Hochwasser kein seltenes Phänomen. Die Landschaft ist durchzogen von Flüssen, die mal träge, mal ungestüm durch die Täler ziehen. Die Loue, dieser malerische Nebenfluss des Doubs, kann binnen Stunden von idyllisch auf gefährlich umschalten. Was wie ein Widerspruch klingt, gehört hier zum Alltag.

Die Behörden haben reagiert, haben das Département Doubs am Dienstagmorgen unter Warnstufe Gelb gesetzt – erhöhte Wachsamkeit bei moderater Gefahr. Ein Signal, mehr nicht. Denn die Menschen vor Ort verlassen sich längst nicht allein auf offizielle Durchsagen. Sie vertrauen ihrer Erfahrung, ihren Beobachtungen, ihrem Gespür für das Verhalten des Wassers.

Und doch bleibt die Frage: Wie lange noch? Wie oft wird man noch Schreibtische hochheben, Gartenmöbel retten, Türen verbarrikadieren? Klimaforscher schlagen seit Jahren Alarm – Extremwetter, Starkregen, steigende Flusspegel. Auch wenn in Ornans niemand laut von Klimawandel spricht: Die Häufung der Ereignisse bleibt nicht unbemerkt.

Wer durch die Straßen läuft, sieht mehr als nur nasse Keller. Er sieht ein Dorf, das gelernt hat, mit der Unsicherheit zu leben. Vielleicht ist genau das die eigentliche Nachricht dieser Tage: Nicht die zwei Meter Wasser, nicht die gesperrten Straßen. Sondern die stille Entschlossenheit der Menschen, ihre Gelassenheit, ihre Anpassungsfähigkeit.

Und die Hoffnung, dass es morgen nicht noch schlimmer kommt.

Von C. Hatty

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