Tag & Nacht




Ein Demonstrant schreit. Ein Polizist schlägt zu. Kameras filmen. Das Bild geht viral.

Was wie eine Szene aus einem dystopischen Thriller wirkt, ist in Frankreich in den vergangenen Jahren zur bitteren Realität geworden. Ob bei Protesten gegen die Rentenreform, in den Banlieues nach tödlichen Polizeischüssen oder während der „Gilets Jaunes“-Bewegung – das Vertrauen in die Polizei bröckelt. Immer mehr Menschen fragen sich: Dient die Polizei dem Schutz der Bevölkerung – oder dem Machterhalt?

Frankreich steht unter Druck. Gesellschaftlich, politisch, sozial. Und genau in diesem Spannungsfeld wird aus Sicherheitsarbeit zunehmend Konfrontation. Die Einsätze wirken oft überzogen, fast militarisiert. Beamte stürmen mit Helm und Schlagstock in Menschenmengen, setzen Tränengas ein, kesseln Demonstrierende ein. Szenen, die eher an Ausnahmezustände erinnern als an das Versammlungsrecht eines demokratischen Staates.

Ein beunruhigendes Detail: Viele der dokumentierten Fälle von Polizeigewalt betreffen nicht etwa Extremisten oder Randalierer – sondern ganz normale Bürger, junge Menschen, Rentnerinnen, Journalistinnen. Wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist, gerät ins Visier. Und wer sich beschwert, sieht sich schnell mit dem Vorwurf der „Rebellion“ oder „Verleumdung von Amtsträgern“ konfrontiert.

In Frankreich gibt es zwar Kontrollinstanzen wie die IGPN (Inspection Générale de la Police Nationale), doch der Ruf dieser Behörde ist ramponiert. Oft agiert sie schleppend, viele Verfahren verlaufen im Sande. Die Unabhängigkeit? Fraglich. Kein Wunder, dass viele Betroffene resignieren – oder gleich ganz schweigen.

Doch wie steht es im Vergleich dazu in Deutschland?

Auch hier gibt es Vorfälle von übermäßiger Polizeigewalt – keine Frage. Bei Demonstrationen, in Gewahrsamssituationen, in migrantisch geprägten Stadtvierteln. Doch der Ton ist ein anderer. Die Polizeistrukturen wirken dezidierter, die Deeskalation wird stärker betont, unabhängige Gremien wie Polizeibeauftragte oder Antidiskriminierungsstellen setzen an vielen Stellen an. Das heißt nicht, dass alles rosig ist – aber der institutionelle Umgang ist zumindest etwas transparenter.

Ein krasser Unterschied zeigt sich bei der Ausrüstung und dem Auftreten. In Frankreich ist der Einsatz von Gummigeschossen, Tränengasgranaten und sogar Blendgranaten an der Tagesordnung. In Deutschland ist das – zumindest offiziell – ein Tabu. Auch die sogenannte „präventive Festsetzung“, bei der Demonstrierende über Stunden in Polizeigewahrsam genommen werden, bevor überhaupt ein Vergehen festgestellt wird, ist in Frankreich eher Routine als Ausnahme.

Doch warum ist das so?

Frankreich hat eine lange Tradition der Staatsautorität – und ebenso lange eine Tradition des Widerstands. Die Republik verteidigt sich hart gegen alles, was sie als Angriff auf ihre Ordnung empfindet. Die Polizei wird dabei zum Schild – und manchmal auch zum Schwert. In Krisenzeiten verschärft sich diese Logik: Nach den Anschlägen von 2015, während der Corona-Pandemie, in Zeiten sozialer Unruhen.

Deutschland hingegen agiert oft vorsichtiger, föderaler. Die Polizei ist Ländersache, was zwar unübersichtlicher ist – aber auch verhindert, dass eine zentralisierte Machtstruktur durchgreift. Außerdem gibt es in Deutschland ein größeres Bewusstsein für rechtsstaatliche Prinzipien, was historisch gewachsen ist.

Das soll nicht heißen, dass es keine Probleme gibt. Auch in Deutschland fehlt eine flächendeckende, wirklich unabhängige Kontrollinstanz. Auch dort erleben People of Color immer wieder Racial Profiling, Diskriminierung, Gewalt. Und auch in Deutschland zeigen Videos auf Social Media immer wieder Szenen, die erschüttern.

Doch: Der öffentliche Diskurs in Deutschland ist offener. Der Druck von Medien, Zivilgesellschaft und Wissenschaft hat in den letzten Jahren zugenommen. Studien, Aufarbeitung, Proteste – all das bleibt nicht ohne Wirkung.

In Frankreich hingegen wirken die Fronten oft verhärtet. Die Polizeigewerkschaften sind mächtig, die Politik vermeidet klare Worte. Präsident Macron äußert sich selten direkt zu Vorwürfen gegen Sicherheitskräfte – und wenn doch, dann meist defensiv.

Was braucht es also?

Mehr Transparenz. Mehr Kontrolle. Mehr Ausbildung – besonders in Bezug auf Diversität, Deeskalation und Menschenrechte. Und vor allem: eine politische und gesellschaftliche Kultur, die nicht jede Kritik an der Polizei als Angriff auf den Staat versteht.

Denn das Vertrauen in die Polizei ist kein Selbstläufer. Es entsteht durch glaubwürdiges Handeln, nicht durch martialisches Auftreten. Durch das Zuhören, nicht durch das Niederknüppeln. Und durch die Bereitschaft, eigene Fehler einzugestehen.

Was am Ende zählt, ist ein einfacher Satz: Die Polizei ist für die Menschen da – nicht gegen sie.

Von Catherine H.

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