Tag & Nacht




Es gibt Katastrophen, die sich anfühlen wie ein tiefer Einschnitt – nicht nur in die Landschaft, sondern auch in das kollektive Gedächtnis eines Landes. Südkorea erlebt gerade genau so einen Moment. Ein Flammeninferno, das sich in seiner Wucht und Zerstörungskraft zu den schlimmsten Waldbränden des Landes zählt, hat binnen weniger Tage vier Menschenleben gekostet, darunter drei Feuerwehrleute. Und das ist nur die bittere Spitze des Eisbergs.

Die Natur spielt verrückt – und wir schauen oft genug hilflos zu.

Seit dem Wochenende lodern mehr als ein Dutzend Brände im südöstlichen Teil des Landes. Die Ursachen? Ein Mix aus anhaltender Trockenheit, kräftigen Winden und – menschlicher Nachlässigkeit. Der Verdacht liegt nahe, dass ein einzelner Mensch, der ein Grab besuchte, unabsichtlich das verheerende Feuer im Bezirk Sancheong auslöste. Klingt absurd? Vielleicht. Aber genau solche Kleinigkeiten reichen manchmal aus, um ein ganzes Ökosystem in Brand zu setzen.

14.694 Hektar – so viel Land haben die Flammen bislang verschlungen. Das entspricht etwa der doppelten Fläche der Stadt Paris. Und kein Ende in Sicht.

Der amtierende Innenminister Ko Ki-dong spricht von der drittgrößten Brandkatastrophe in der modernen Geschichte des Landes. Der bislang schlimmste Waldbrand? Der wütete im April 2000 und zerstörte über 23.000 Hektar an der Ostküste.

Südkorea hat inzwischen den Notstand in vier Regionen ausgerufen. In den Provinzen Gyeongsang-do, in den Städten Busan und Daejeon, aber auch im traditionsreichen Hahoe-Dorf, das seit dem 14. Jahrhundert besteht und zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, wurden Tausende evakuiert.

Es fühlt sich an wie ein Wettlauf gegen die Zeit.

Doch nicht nur Menschenleben und Natur stehen auf dem Spiel. Auch das kulturelle Erbe gerät in den Sog der Katastrophe. Der uralte Gounsa-Tempel in Uiseong, in dem buddhistische Mönche seit Jahrhunderten beten, brannte am Dienstagmorgen vollständig nieder – trotz verzweifelter Versuche, wertvolle Statuen und Kunstgegenstände zu retten. Kurz darauf dasselbe Bild beim Unramsa-Tempel: Schutt, Rauch, Asche.

Zwei heilige Orte – einfach weg.

Der Staat wirft alles in die Waagschale. Über 6.700 Feuerwehrleute kämpfen aktuell gegen die Flammen, rund 40 Prozent davon allein im Osten des Landes. In Uiseong gelang es immerhin, den Brand zu 55 Prozent einzudämmen – doch die Gefahr bleibt. Wer sich fragt: Wie kommt so etwas überhaupt zustande? Die Antwort ist komplex und zugleich erschreckend simpel. Laut Premierminister Han Duck-soo liegt es oft an mangelnder Vorsicht. Ein kleiner Funke, eine achtlos weggeworfene Zigarette, ein Lagerfeuer ohne Aufsicht – und schon ist das Drama perfekt.

Müssen wir wirklich erst alles verlieren, bevor wir aufwachen?

Die Dimension dieser Brände lässt sich kaum in Zahlen fassen. Was bleibt, ist ein Land in Aufruhr. Familien auf der Flucht, Feuerwehrleute am Limit, ein Kulturerbe, das langsam im Rauch aufgeht. Und mittendrin ein Gefühl der Ohnmacht – gepaart mit der Frage: Wie geht es weiter?

Was diese Katastrophe in erschreckender Deutlichkeit zeigt: Klimatische Veränderungen – ob durch längere Trockenphasen, höhere Temperaturen oder stärkere Winde – erhöhen die Wahrscheinlichkeit für solche Brände erheblich. Und wenn dann noch der Mensch mit seiner Fahrlässigkeit ins Spiel kommt, ist das Unglück nicht weit.

Aber es wäre zu einfach, das Ganze nur als tragisches Einzelereignis abzutun. In Wahrheit ist das ein weiteres Puzzlestück in einem größeren Bild: dem Klimawandel, der unsere Welt mit immer heftigeren Extremwetterereignissen herausfordert. Waldbrände – einst als Ausnahmeerscheinung in Südkorea betrachtet – könnten sich häufen. Genau deshalb braucht es heute mehr denn je eine tiefgreifende, interdisziplinäre Zusammenarbeit. Feuerökologen, Klimaforscher, Stadtplaner und Katastrophenschutz müssen an einem Strang ziehen.

Denn wenn sich die Welt weiter erhitzt, wird kein Löschfahrzeug der Welt ausreichen, um all die Brände zu bekämpfen, die auf uns zukommen.

Neben der akuten Katastrophenhilfe braucht es langfristige Strategien. Frühwarnsysteme, Bildungsarbeit zur Prävention und ein besseres Verständnis für die Ursachen von Bränden. Und ganz ehrlich: Auch eine stärkere Sensibilisierung für kulturelle Stätten, die weit mehr sind als nur touristische Sehenswürdigkeiten – sie sind lebendige Geschichte.

Es ist ein düsteres Kapitel in Südkoreas jüngster Geschichte. Doch wie so oft in solchen Momenten zeigt sich auch der menschliche Zusammenhalt. Die Bereitschaft, zu helfen. Die Feuerwehrleute, die ihr Leben riskieren. Die Tempelarbeiter, die sich zwischen Flammen und Rauch werfen, um die Vergangenheit zu schützen. Und die Menschen, die sich gegenseitig durch diese schwere Zeit tragen.

Vielleicht ist das der kleine Lichtschein in all dem Rauch.

Von Andreas M. Brucker

Quellen: AFP, Le Monde, südkoreanisches Innenministerium

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!