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Ein ungewöhnlicher Richterspruch erschüttert derzeit die französische Energiebranche: Das Strafgericht von Montpellier hat am 7. April 2025 die vorübergehende Stilllegung des Windparks in Aumelas (Département Hérault) angeordnet. Betroffen sind ganze 31 Windkraftanlagen, die für vier Monate abgeschaltet bleiben – just während der Brutzeit des Turmfalken. Der Grund? Der Schutz einer bedrohten Art, die dem Fortschritt buchstäblich zum Opfer gefallen ist.

Ein Schlag mit Ansage

Schon seit Jahren sind Vogelschützer alarmiert. Die Rotorblätter der mächtigen Windräder bringen nicht nur Wind in die Energiewende, sondern auch Gefahr für heimische Tierarten – in diesem Fall für den seltenen Turmfalken, auf Französisch „Faucon crécerellette“. Insgesamt 160 geschützte Tiere, darunter auch Fledermäuse, sollen laut Klage bereits getötet worden sein.

Die Umweltorganisation France Nature Environnement Occitanie-Méditerranée (FNE-OccMed) reichte 2022 Klage ein – und bekam nun in vollem Umfang Recht.

Hohe Strafen, klare Botschaft

Die Urteile haben es in sich: EDF Renouvelables und neun weitere Betreiber wurden zu jeweils 500.000 Euro Geldstrafe verurteilt, die Hälfte davon zur Bewährung. Der frühere CEO von EDF Renouvelables, Bruno Bensasson, muss eine sechsmonatige Bewährungsstrafe antreten und zusätzlich 100.000 Euro zahlen – 30.000 Euro davon auf Bewährung.

Ein Urteil, das nicht nur finanziell schmerzt, sondern auch eine Botschaft sendet: Natur- und Artenschutz darf nicht auf dem Altar der Energiewende geopfert werden.

Energiewende versus Artenschutz – ein scheinbarer Widerspruch

Die Entscheidung des Gerichts wird von Umweltschützern als historisch gefeiert. Simon Popy, Präsident von FNE-OccMed, zeigte sich zufrieden: Der Schutz gefährdeter Arten, insbesondere in sensiblen Phasen wie der Brutzeit, sei ein zentrales Anliegen – und dürfe nicht dem wirtschaftlichen Interesse untergeordnet werden.

Doch genau hier beginnt das Dilemma: Wie lassen sich Klimaschutz und Biodiversität in Einklang bringen?

Windkraft ist zweifelsohne ein zentraler Baustein der Energiewende. Ohne sie ist der Umstieg auf nachhaltige Stromerzeugung kaum denkbar. Doch die Planung solcher Großprojekte hinkt oft dem ökologischen Anspruch hinterher. Umweltverträglichkeitsprüfungen, so scheint es, werden nicht selten als Formalie betrachtet.

Ein Weckruf für die Branche

Der Fall in Aumelas könnte zum Weckruf für die gesamte Branche werden. Denn er zeigt: Die Zeit, in der man den ökologischen Preis der Energiewende ignorieren konnte, ist vorbei.

Wer künftig neue Windparks bauen oder bestehende Anlagen betreiben will, muss Natur und Tierwelt ernsthaft mitdenken – und zwar von Anfang an. Nicht als lästige Auflage, sondern als unverzichtbaren Teil einer nachhaltigen Energiezukunft.

Denn wie glaubwürdig ist ein grüner Energiemix, wenn er durch das Auslöschen seltener Arten erkauft wird?

Mehr als nur Symbolik

Vier Monate Abschaltung – das klingt überschaubar. Doch in der Branche sorgt das Urteil für zittrige Knie. Der Präzedenzfall könnte Schule machen und Auswirkungen auf künftige Windprojekte in ganz Frankreich – ja sogar europaweit – haben.

Zudem stellt sich nun die Frage: Wie reagieren EDF Renouvelables und die anderen betroffenen Firmen? Wird es zu Anpassungen bei der Planung, zu Investitionen in Technologien zur Vogelabwehr kommen? Oder erleben wir bald die nächste juristische Auseinandersetzung?

Die Debatte ist eröffnet

Es wäre zu einfach, in diesem Fall nur schwarz oder weiß zu sehen. Weder ist Windenergie per se schlecht, noch ist jeder Widerstand dagegen fortschrittsfeindlich. Aber der Aumelas-Fall zeigt: Der richtige Weg liegt irgendwo dazwischen – und verlangt mehr Feingefühl, mehr Transparenz und vor allem: mehr Verantwortung.

Vielleicht ist es genau dieser Spagat, der den Unterschied macht zwischen reiner Energieproduktion und echter Nachhaltigkeit.

Andreas M. B.

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