Tag & Nacht


Der Regen kam nicht leise.

Er peitschte über Dächer, sprengte das dunkle Schweigen der Hügel rund um Nyons – und brachte die Eygues zum Toben. Innerhalb weniger Stunden wurde der idyllische Fluss zum reißenden Strom. Jetzt fehlt von zwei Menschen jede Spur. Ihre Geschichte beginnt mit einem Auto, das leer am Morgen gefunden wird – und endet zur Zeit in einer Frage, die alle bewegt: Wo sind sie?

Nyons, Drôme – Donnerstagmorgen, 30. Oktober.
Die Feuerwehr durchkämmt das Flussufer. Hubschrauber kreisen. Die Straßen glänzen noch vom nächtlichen Regen, der Himmel ist schwer und grau. Zwei Personen waren in der Nacht zuvor unterwegs – jetzt sind sie verschwunden. Ihr Wagen wurde verlassen entdeckt, nahe einer Straße, die nah an der Eygues verläuft. Der Fluss hatte sich seinen Weg gebahnt – brutal, schnell, unaufhaltsam.

Man kennt solche Bilder.
Aber hier, in dieser charmanten Kleinstadt mit provenzalischem Flair, wirken sie besonders surreal.


Wenn der Fluss keine Gnade kennt

Nyons liegt in einem Talkessel, umgeben von Hügeln, durchzogen von kleinen Gewässern – ein Paradies im Frühling, ein Pulverfass im Herbst. Denn wenn der Himmel sich über dem Südosten Frankreichs öffnet, dann oft mit Wucht. Diese sogenannten „épisodes méditerranéens“ sind meteorologische Phänomene mit zerstörerischem Potenzial: Unmengen Regen in kurzer Zeit, punktuell, oft schwer vorhersehbar.

In diesem Fall traf es die Eygues – einen Fluss, der mal beschaulich durch die Stadt plätschert, mal zur Bedrohung wird. Die Wassermassen rissen in der Nacht offenbar einen Teil der Fahrbahn mit sich. Ob die beiden Vermissten in den Strudel gerieten, sich vielleicht selbst retten konnten oder anderweitig Schutz suchten – das weiß aktuell niemand.

Nur eins ist klar: Die Natur zeigte sich zerstörerisch.


Alarm in der Drôme – und viele offene Fragen

Schon am frühen Morgen war die Rettungskette angelaufen: Feuerwehr, Gendarmerie, spezialisierte Suchtrupps. Man sucht an den Ufern, prüft angrenzende Nebenarme des Flusses, fliegt Luftaufklärung. Und es bleibt die bange Frage – leben die Vermissten noch?

Wer sich durch die Gemeinde bewegt, spürt Anspannung. Sorge. Aber auch Frust. Denn dieser Fall wirft mehr Fragen auf, als er bislang beantwortet:

War die Straße ausreichend gesichert? Gab es Warnhinweise? Hätte man das Gebiet sperren müssen?
Oder war es eine Verkettung unglücklicher Zufälle – zur falschen Zeit am falschen Ort?

Und was, wenn sich solche Ereignisse häufen?


Wetterphänomene, die zur Regel werden

Was einst als Ausnahme galt, scheint sich immer öfter zu wiederholen: Sturzregen, Schlammlawinen, plötzliche Überflutungen. Besonders in den südlichen Regionen Frankreichs verändert das Klima den Rhythmus der Jahreszeiten – und den Alltag der Menschen.

Im Fall von Nyons zeigt sich, wie verwundbar eine Region sein kann, selbst eine mit entsprechender Erfahrung. Denn auch wenn man sich der Gefahren bewusst ist – gegen eine nächtliche Flut, die Straßen unter Wasser setzt, bleibt kaum Zeit zum Reagieren.

Viele Gemeinden arbeiten inzwischen mit Frühwarnsystemen, digitalen Alarmketten, neuen Infrastrukturen. Doch die Realität ist: In der Nacht, auf einsamen Straßen, entscheidet manchmal eine Minute – oder der Reflex, umzudrehen.


Was bleibt – und was kommen muss

Es wäre zu früh, Schuldzuweisungen zu treffen. Aber nicht zu früh, um nachzudenken.

Darüber, wie nah Straßen an Flüssen verlaufen dürfen.
Darüber, wie sichtbar Warnhinweise sein müssen.
Und darüber, wie wir als Gesellschaft mit dem Risiko leben – nicht panisch, sondern vorbereitet.

In Nyons bleibt die Hoffnung. Vielleicht konnten sich die beiden retten. Vielleicht tauchen sie bald auf, durchnässt, aber lebendig.

Bis dahin gilt: aufmerksam bleiben. Und lernen. Denn die nächste „Nacht der Flut“ kommt womöglich schneller, als uns lieb ist.

Daniel Ivers

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