Tag & Nacht




In Deutschland ist der Karfreitag ein Tag der Stille, ein staatlich geschützter Feiertag mit stillen Veranstaltungen, geschlossenen Tanzlokalen und gedeckten Farben. Doch wie steht es um unseren westlichen Nachbarn Frankreich? Auf den ersten Blick scheint der Karfreitag dort kaum eine Rolle zu spielen – und doch lohnt ein zweiter Blick auf die tief verankerten Traditionen, regionalen Unterschiede und kulturellen Besonderheiten.


Ein Feiertag – aber nicht für alle

Rein rechtlich betrachtet ist der Karfreitag in Frankreich kein landesweiter Feiertag. Der „Vendredi Saint“, wie er im Französischen heißt, wird lediglich in den drei Départements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle offiziell begangen. Diese Sonderstellung hat historische Gründe: Die genannten Regionen im Osten des Landes gehörten einst zum Deutschen Reich und kamen nach dem Ersten Weltkrieg wieder zu Frankreich zurück. Mit ihnen überdauerte auch ein Teil des deutschen Feiertagskalenders – bis heute.

Das bedeutet konkret: Während der Karfreitag in weiten Teilen Frankreichs ein gewöhnlicher Arbeitstag ist, sind die Schulen, Behörden und viele Geschäfte in Straßburg, Metz oder Colmar geschlossen.


Spirituelle Tiefe trotz Arbeitstag

Trotzdem wird der Karfreitag auch außerhalb dieser drei Départements nicht einfach übergangen. Vor allem in katholischen Regionen Frankreichs wird dieser Tag als Moment der Einkehr und Besinnung wahrgenommen. Zahlreiche Gemeinden laden zu Kreuzwegandachten, Schweigemeditationen oder Gottesdiensten ein – besonders in der ländlichen Provence, auf Korsika oder im Baskenland.

Es ist ein stiller Glaube, der sich nicht unbedingt durch große Aufmärsche, sondern durch innere Haltung zeigt.


Die „Prozession de la Sanch“ – Theater der Leidensgeschichte

Ein besonderes Spektakel findet jedes Jahr in Perpignan im Süden Frankreichs statt. Seit dem 15. Jahrhundert wird hier die „Prozession de la Sanch“ organisiert – eine eindrucksvolle Darbietung der Passion Christi.

In langen schwarzen Kutten mit spitzen Kapuzen – ein Anblick, der manchen an mittelalterliche Bußzüge erinnert – ziehen die Teilnehmer stundenlang durch die Altstadt. Sie tragen schwere Holzkreuze, Reliquien und Figuren des leidenden Jesus. Trommler und Fackelträger begleiten den Zug, der wie ein stilles Schauspiel wirkt – emotional, archaisch, bewegend.

Wer einmal dabei war, vergisst das so schnell nicht.


Kinder und fliegende Glocken

Ein weiterer, fast märchenhafter Brauch betrifft die Kirchenglocken: Von Gründonnerstag bis Ostersonntag verstummen sie in ganz Frankreich – kein Läuten, kein Glockenschlag, kein Stundensignal. Der Grund? Die Glocken, so erzählt man es Kindern, fliegen in dieser Zeit nach Rom, um dort den Segen des Papstes zu empfangen.

Am Ostersonntag kehren sie lautstark zurück – und bringen Süßigkeiten mit, die sie über Gärten und Balkone „fallen lassen“. Eine fantasievolle Alternative zum deutschen Osterhasen – und mindestens genauso charmant.


Französische Osterstimmung – aber anders

In Frankreich hat Ostern eine andere Färbung als in vielen deutschsprachigen Ländern. Es gibt weniger den familiären Festtagsbrunch, weniger bunte Eier in Nestern. Stattdessen wird mehr Gewicht auf symbolische Handlungen und liturgische Rituale gelegt. Der Karfreitag selbst ist dabei weniger ein gesetzlicher Ankerpunkt als ein spiritueller Fixstern.

Und doch – oder gerade deshalb – bleibt seine Bedeutung tief im kulturellen Gedächtnis verwurzelt.


Fazit? Nein, lieber ein Gedanke

Vielleicht liegt der Zauber des Karfreitags in Frankreich gerade in seiner Widersprüchlichkeit: Kein nationaler Feiertag, aber reich an Bräuchen. Kein kollektives Innehalten, aber tief persönliche Rituale. Und genau das macht ihn so besonders – weil er, trotz aller Unterschiede, Teil einer gelebten Glaubenslandschaft bleibt.

Andreas M. B.

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