Tag & Nacht


Manchmal fühlt sich der französische Alltag an wie ein überdrehtes Theaterstück, in dem jemand hinter der Bühne ständig an den Kulissen rüttelt. Während wir brav unsere Rolle sprechen, zieht irgendwo ein Regisseur an Fäden, die wir nicht einmal sehen wollen. Manipulation? Aber bitte—wir haben doch keine Zeit für solche „Details“. Wir scrollen, wir klicken, wir empören uns. Und merken kaum, dass wir in einem riesigen Aquarium schwimmen, in dem fremde Hände das Wasser färben.

Dass Russland seit Jahren versucht, unsere Gesellschaft zu spalten, wäre an sich schon ein ziemlicher Hammer. Doch der eigentliche Skandal steckt darin, wie routiniert dieses Spiel inzwischen läuft. Da wird nicht mehr mit der Keule gewütet, sondern mit feinstem chirurgischem Werkzeug. Falsche Medienportale tauchen auf wie schlecht gephotoshoppte Pilze nach einem Herbstregen, imitieren vertraute Logos, zerren an unserer Glaubwürdigkeit wie Kinder an einer losen Tapetenbahn. Einmal daran gezogen, blättert gleich eine ganze Wand ab.

Frankreichs Dienste haben das inzwischen mehrfach offengelegt: VIGINUM, Diplomaten, Journalisten – sie alle zeigen auf diesen dichten Nebel aus Fake-Seiten, geklonten Zeitungen, aus Propaganda in Sonntagskleidung. Das Portal-Kombat-Netzwerk etwa, ein hübsch verkleideter Rummelplatz der Desinformation, schmeißt groteske Inhalte unters Volk, bis man kaum noch weiß, ob man Nachrichten gelesen hat oder eine besonders schlecht geschriebene Science-Fiction-Novelle.

Und dann diese „Doppelgänger“-Operationen – Doppelgänger! – die klingen wie aus einem Bond-Film aus der Spätphase. Man imitiert große Medienhäuser, baut täuschend echte Kopien, verschiebt ein paar Fakten, dreht die Perspektive, und plötzlich liegt die öffentliche Debatte quer wie ein Fahrradlenker nach einer Vollbremsung.

Zwischendurch werden sogar Namen echter Journalistinnen und Journalisten gekapert, damit die nächste Desinformationsladung besonders vertrauenswürdig aussieht. StreetPress hat das erlebt: Stell dir vor, jemand läuft durch die digitale Welt und verteilt unter deinem Namen absurden Unsinn – und die Leute glauben’s, weil sie glauben wollen. Das ist vielleicht das Bitterste: Der Erfolg solcher Manipulation hängt nicht davon ab, wie brillant die Täuschung ist, sondern wie sehr wir uns verführen lassen.

Doch damit nicht genug. Die russischen Strategen haben offenbar ein Faible für gesellschaftliche Brandherde – je trockener das Holz, desto besser. Antisemitische Tags, rote Handabdrücke an Gedenkorten, perfide zugespitzte Botschaften an jüdische und muslimische Gemeinden: kleine Funken, die in aufgeheizten Zeiten zu lodernden Bränden mutieren. Es wirkt wie ein zynisches Experiment: Reicht ein Funken, um Nachbarn gegeneinander aufzubringen? Reicht ein Gerücht, um alte Wunden wieder aufzureißen?

Manchmal hat man das Gefühl, wir stünden kollektiv auf einem Pulverfass, und fremde Akteure spielen mit dem Feuerzeug, nur um zu sehen, wer zuerst explodiert.

Und dann, natürlich, kommt die Politik ins Spiel. Wahljahre sind für fremde Einflussnehmer wie Feiertage—so etwas wie der Black Friday der geopolitischen Manipulation. 2024 etwa schwappten automatisierte Kampagnen durch die sozialen Medien, als wären es besonders lästige Spam-Flutwellen. Bots, Fake-Accounts, koordinierte Angriffe auf Kandidaten – alles, um die politische Tektonik zu verschieben. Nicht unbedingt, um jemanden zum Glänzen zu bringen, sondern um den Boden unter allen Füßen ins Wanken zu versetzen. Die Botschaft dahinter ist so simpel wie perfide: Wenn niemand mehr weiß, wem er trauen soll, dann gewinnt am Ende derjenige, der den Zweifel gesät hat.

Diese Mischung aus langfristiger Strategie und opportunistischem Mitnehmen jeder öffentlichen Erschütterung wirkt wie ein daueraktives Erdbeben. Mal sind es kleine Vibrationen, kaum spürbar, mal richtige Beben, die ganze Debatten kippen. Die Grenze zwischen hausgemachten Problemen und importiertem Chaos verschwimmt. Überall Risse – und wir streiten darüber, ob sie vom Wetter oder vom Mauerwerk kommen, während jemand heimlich von außen dagegen hämmert.

Natürlich hat Frankreich reagiert, VIGINUM aufgebaut, neue Kooperationen geschmiedet, internationale Partnerschaften gestärkt. Die Werkzeuge gegen Desinformation werden präziser, schneller, intelligenter. Aber hier lauert der eigentlich unbequeme Teil: Kein Algorithmus der Welt kann verhindern, dass Menschen auf Manipulation anspringen, wenn sie bereits dünnhäutig, misstrauisch oder wütend sind.

Resilienz beginnt nicht beim Staat, sondern am Küchentisch, im Smartphone, im Kopf. Doch genau da sitzen wir – müde, überreizt, abgelenkt – und sind überzeugt, dass wir alles durchschauen. „Mich manipuliert doch keiner!“ Ein Satz, der so glaubwürdig ist wie „Nur noch fünf Minuten“ beim Serienmarathon vor dem Fernseher.

Wir alle sind verletzlich, ständig, egal wie sehr wir uns einreden, immun zu sein. Und vielleicht ist das die eigentliche Tragik: Nicht die Existenz der Manipulation, sondern die Überheblichkeit, mit der wir glauben, sie beträfe nur die anderen.

Die Spaltung, die Unsicherheit, das Grundrauschen der Aufregung: Das alles ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer Strategie, die nur funktionieren kann, weil wir ihr einen fruchtbaren Boden bieten. Fremde Akteure legen die Samen – wir gießen sie mit jeder vorschnellen Empörung, mit jedem unbedachten Klick, mit jeder schnellen, lauten Behauptung.

Und während wir uns über „die da oben“ streiten, über linke und rechte, alte und junge, gläubige und nicht-gläubige, lachen hinter den Kulissen jene, die nichts lieber säen als Misstrauen. Vielleicht wird’s Zeit, ihnen das Lachen zu verderben.

Ein Kommentar von Daniel Ivers

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!