Tag & Nacht




Er wollte nur zeigen, was geschieht. Keine Heldenposen, keine Schlagzeilenjagd – einfach Zeugnis ablegen. Am 3. Oktober 2025, um 9.20 Uhr Ortszeit, endet dieser Blick: Antoni Lallican, französischer Fotojournalist, 37 Jahre alt, stirbt in der Ostukraine. Eine Drohne trifft ihn bei Droujkivka, nahe der Frontlinie im Donbass. Ein gezielter Schlag, sagen die ukrainischen Behörden. Ein Kriegsverbrechen, nennen es die internationalen Journalistenverbände.

Neben ihm: der ukrainische Kollege Heorgiy Ivanchenko, schwer verletzt, beide gekennzeichnet mit Westen, auf denen groß „Presse“ stand. Es ist das erste Mal im Verlauf des Ukrainekriegs, dass ein Reporter durch eine Drohne getötet wird. Und es ist ein Wendepunkt – für den Journalismus, für das Bild vom Krieg, für die Frage: Wie sichtbar muss und darf Wahrheit noch sein?


Vom Apotheker zum Kriegsfotografen

Antoni Lallican war kein Mann des geraden Wegs. Geboren in Paris, aufgewachsen in Villers-sur-Coudun im Département Oise, begann er seine berufliche Laufbahn als Pharmazeut. Ein sicherer Beruf, sagen manche. Eine Sackgasse, sagte er selbst später einmal in einem Interview. Die Kamera war stärker als das Labor.

Seit 2018 arbeitete er für die Fotoagentur Hans Lucas, belieferte französische und internationale Medien: Le Monde, Le Figaro, Libération, Der Spiegel, Die Welt, Le Temps. Ein freier, wacher Beobachter, der immer näher heranrückte, dorthin, wohin andere sich nicht trauten.

Seine Reportagen führten ihn nach Syrien, in den Libanon, in die palästinensischen Gebiete – und seit 2022 immer wieder an die ukrainische Front. Nicht als Draufgänger, sondern als stiller Zeuge. „Er fotografierte keine Explosionen, er fotografierte die Menschen, die danach übrigblieben“, erinnert sich ein Kollege.

Im Januar 2024 erhielt Lallican den Victor-Hugo-Preis für engagierte Fotografie für seine Serie „Soudain, le ciel s’est assombri“ – ein Werk über die Schatten des ukrainischen Kriegsalltags. Die Jury lobte seine „unbestechliche Nähe“.


Der Moment, in dem Technik tödlich wird

Droujkivka, ein unscheinbarer Ort, kaum 20 Kilometer von der Front entfernt. Dort, wo die Stille trügerisch ist. Lallican war unterwegs mit Ivanchenko, um das Leben der Zivilbevölkerung im Angesicht des ständigen Beschusses zu dokumentieren. Dann kam das Summen – jenes kalte, metallische Geräusch, das mittlerweile zum Klang der modernen Kriegsführung gehört.

Ein FPV-Drohne, gesteuert in Echtzeit, zielgenau, schnell. Ein Schlag. Ein Schnitt. Kein Zufall, vermuten Beobachter.

Die ukrainischen Behörden sprechen von einer „gezielten Attacke auf Journalisten“. Reporter ohne Grenzen, der Europäische und der Internationale Journalistenverband fordern eine unabhängige Untersuchung. Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „Akt der Barbarei“ und versprach Aufklärung. Doch was lässt sich in einem Krieg wirklich aufklären, in dem Maschinen längst schneller töten als Worte erklären?


Das Dilemma der Sichtbarkeit

Der Tod von Antoni Lallican steht sinnbildlich für eine gefährliche Entwicklung. Der Krieg ist nicht mehr nur eine Front aus Schützengräben und Geschützen. Er ist eine Arena ferngesteuerter Waffen – und diese berücksichtigen keine Pressekennzeichnung mehr.

Drohnen machen keine Unterschiede zwischen Soldaten und Beobachtern. Sie treffen, was der Algorithmus sieht. Und so wird der Journalist, der die Wahrheit sichtbar machen will, selbst zur sichtbaren Zielscheibe.

Wie viele Reporter sind in diesem Konflikt schon gestorben? Vier französische, Dutzende ukrainische, internationale Korrespondenten. Jeder einzelne Verlust ist mehr als eine Tragödie – er ist ein Riss in der Informationskette, eine Schwächung der öffentlichen Wahrnehmung.


Zwischen Nähe und Gefahr

Wer einmal Kriegsfotografen begegnet ist, weiß: Es sind keine Abenteurer. Eher Chronisten, manchmal Getriebene. Lallican gehörte zu jenen, die Nähe suchten, ohne Pathos, ohne Selbstdarstellung. Seine Kollegen beschreiben ihn als „empathisch bis zur Verletzlichkeit“.

Er sprach wenig, beobachtete viel, wartete auf den einen Moment, in dem Licht und Mensch eine Geschichte erzählten, die kein Text der Welt je einfangen könnte.

Vielleicht ist das der Preis der Authentizität: Wer hinschaut, riskiert getroffen zu werden.


Der Krieg, der auch das Zeugnis trifft

Im digitalen Zeitalter gleicht der Krieg einem endlosen Strom von Bildern. Jeder hat eine Kamera, jeder sendet. Doch Lallicans Tod erinnert daran, dass echter Journalismus mehr bedeutet als bloßes Dokumentieren. Es ist ein Akt der Verantwortung – und manchmal des Widerstands.

Denn wo Kriegsparteien versuchen, das Narrativ zu kontrollieren, werden Fotografen zu Störenfrieden. Sie zeigen das Ungezeigte, sie stellen Fragen, wo Schweigen bequemer wäre. Und genau deshalb geraten sie ins Visier.

Die Drohne, die Antoni Lallican tötete, hat nicht nur einen Menschen getroffen, sondern ein Symbol: das des unabhängigen Blicks.


Ein Vermächtnis in Bildern

Seine Kamera ist nun still. Aber die Bilder, die er hinterlässt, sprechen weiter – von Schmerz, von Menschlichkeit, von jenem stillen Mut, der keine Orden trägt.

Freunde erzählen, dass Lallican kurz vor seiner letzten Reise gesagt habe: „Ich will zeigen, dass selbst im Krieg noch Gesichter sind, keine Schatten.“

Er hat es gezeigt. Und dafür bezahlt.

Sein Tod ist Mahnung und Vermächtnis zugleich – ein Appell, den Blick aufrechtzuhalten, selbst wenn der Himmel sich verdunkelt.

Autor: Andreas M. Brucker

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