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Der französische Präsident wird vom 24. bis 26. Juli in Neukaledonien erwartet. Seit dem umstrittenen Sieg des „Nein“-Lagers beim dritten Selbstbestimmungsreferendum im Jahr 2021 sind viele Fragen über den Status des französischen Archipels ungeklärt. Emmanuel Macron will vor Ort mit den verschiedenen politischen Kräften in Neukaledonien sprechen, kündigte der Elysée-Palast vor dieser mit Spannung erwarteten Reise an, um den Dialog zwischen Unabhängigkeitsbefürwortern und Loyalisten wieder aufzunehmen.

Eineinhalb Jahre nach dem Sieg des „Nein“-Lagers beim Selbstbestimmungsreferendum im Dezember 2021 reist Präsident Emmanuel Macron vom 24. bis 26. Juli in einem äußerst heiklen Kontext nach Neukaledonien. Die Blockade der Gespräche zwischen den Unabhängigkeitsbefürwortern und den Loyalisten hat jeden Fortschritt im Prozess der Ausarbeitung eines neuen Status für die Inselgruppe eingefroren.

Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Unabhängigkeitsbefürwortern und Loyalisten
Die vorherige Reise des französischen Staatschefs in die Region datiert aus dem Jahr 2018. Nach den drei Selbstbestimmungsreferenden (2018, 2020 und 2021), in denen das „Nein“ zur Unabhängigkeit bestätigt wurde, und gemäß den Vereinbarungen von Nouméa (1998) begann eine Übergangszeit. Diese Zeit sollte theoretisch die Ausarbeitung eines neuen Status für den Archipel ermöglichen. Seit Dezember 2021 ist der Dialog zwischen den politischen Akteuren in Neukaledonien jedoch praktisch abgebrochen und blockiert jeden Fortschritt bei der Entscheidungsfindung über die institutionelle Zukunft des französischen Archipels.

Die Unabhängigkeitsbefürworter der Front de libération nationale kanak socialiste (FLNKS) fechten das Ergebnis des letzten der drei Referenden über die Selbstbestimmung immer noch an. Sie haben sogar eine Klage beim Internationalen Gerichtshof eingereicht. Nachdem Neukaledonien stark von der Covid-19-Pandemie betroffen war, hatten sie die Abstimmung im Dezember 2021 massiv boykottiert und vergeblich um eine Verschiebung gebeten.

In den letzten sechs Monaten ist Innenminister Gérald Darmanin dreimal nach Neukaledonien gereist und hat versucht, Unabhängigkeitsbefürworter und Unabhängigkeitsgegner wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Ein Dialog schien begonnen zu haben, als beide Seiten im Mai nach Paris reisten, um mit dem Minister für Überseegebiete zu diskutieren. Der Besuch von Emmanuel Macron soll nun die Verhandlungsmaschinerie vor Ort wieder in Gang bringen. Es wird erwartet, dass der französische Präsident einen neuen politischen Zeitplan verkünden wird.

Zu den Verhandlungen über die institutionelle Zukunft des Archipels kommt ein weiteres Problem hinzu: die Frage der Änderung des Wahlkörpers. Seit 1998 durften gemäß dem Abkommen von Nouméa nur Einheimische und seit mehreren Jahren Ansässige an den Provinzwahlen sowie an Referenden teilnehmen, um das Gleichgewicht zwischen der Ur-Bevölkerung und den Neuankömmlingen im Laufe der Jahre zu wahren.

Bewohner, die seit einer bestimmten Anzahl von Jahren auf dem Archipel leben, sollen als potenzielle Wähler anerkannt werden. Die Verhandlungen über die Anzahl der Jahre, die für dieses Wahlrecht erforderlich sind, sind jedoch blockiert. Bei den Gesprächen mit der französischen Regierung in den letzten Monaten schlug Gérald Darmanin sieben Jahre Wohnsitz in Neukaledonien vor, die Unabhängigkeitsbefürworter forderten zehn Jahre, und die Loyalisten hielten drei Jahre für ausreichend.

Man erwartet jetzt, dass Emmanuel Macron die Dauer des Wohnsitzes zum Erreichen des Wahlrechts festlegen wird – eventuell auf acht Jahre. Der französische Staatschef hat aber auch die Möglichkeit, die von den Unabhängigkeitsbefürwortern geforderten zehn Jahre gewährt. Das könnte diese dazu zu bringen, ihrerseits eine Geste zu machen.

Ein weiteres Dossier, das von Frankreich genau beobachtet wird, sind die großen Nickelvorkommen, über die Neukaledonien verfügt. Sogenanntes „grünes Gold“, das in China sehr begehrt ist. Die französische Inselgruppe besitzt 10 % der weltweiten Reserven, hinter Indonesien (21 %), Australien (20 %) und Brasilien (16 %), wie das US-amerikanische Institut für geologische Studien (USGS) berichtet. Dieses Metall, das für die Herstellung von Edelstahl und elektrischen Batterien verwendet wird, wird immer begehrter.

Ein Großteil des in Neukaledonien abgebauten Nickels wird nach China exportiert, da Paris die Verträge mit der Neukaledonischen Fabriken nicht kontrollieren kann. Die meisten gehören zumindest teilweise den drei neukaledonischen Provinzen, die in einigen Fällen über eine Sperrminorität verfügen. 2015 wollte Frankreich den Versand des Edelmetalls nach Peking blockieren, was in einer einmonatigen Blockade endete, die von Fahrern inszeniert wurde, weil sie den Abbau von Arbeitsplätzen befürchteten.

Trotz der starken Nachfrage geht es der neukaledonischen Nickelindustrie schlecht. Die drei wichtigsten Fabriken, die die Ressource vor Ort abbauen, weisen seit fast zehn Jahren ein erhebliches Defizit auf. Schuld daran sind unter anderem die hohen Abbau- und Transportkosten, die durch den Anstieg der Energiepreise noch verschärft wurden, aber auch die Überalterung ihrer Infrastrukturen, insbesondere bei der Société Le Nickel (SLN) in der Nähe von Nouméa, dem größten privaten Arbeitgeber des Archipels.

Infolgedessen hat der französische Staat in den letzten Jahren massiv eingegriffen, um den Sektor zu stützen, und in sechs Jahren mehr als 2 Milliarden Euro bereitgestellt. Bei einem Besuch in Neukaledonien im März kündigte der Innenminister dann eine Regierungsmission an, um die Branche auf Vordermann zu bringen, was zeigt, dass die Regierung nicht bereit zu sein scheint, diese Industrie aufzugeben, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen internationalen Spannungen mit China.

Neukaledonien und sein über 1,3 Millionen km² großes Meeresgebiet sind für Frankreich ebenfalls ein wertvoller strategischer Trumpf. Dank seiner über den Globus verstreuten französischen Überseegebiete mit mit 10,2 Millionen km² ist Frankreich nach wie vor die zweitgrößte Seemacht der Welt, was ihm einen prestigeträchtigen Platz im ‚großen Spiel der Weltmächte‘ sichert. Für Emmanuel Macron ist der Besuch in Nouméa also auch eine Gelegenheit, diese französische Präsenz im indo-pazifischen Raum zu betonen.

Aus diesem Grund hat der Präsident auch einen Abstecher nach Vanuatu geplant, dem direkten Nachbarn Neukaledoniens, einem ehemaligen französischen Territorium und teilweise frankophonen Land. Die Frankophonie ist ein weiterer wichtiger Prestigefaktor, den Frankreich bewahren möchte. China ist in dem kleinen Pazifikstaat Vanuatu, der über eine sehr große maritime Wirtschaftszone verfügt, besonders stark vertreten. Peking hat den Bau von Infrastrukturen finanziert, darunter einen Tiefseehafen und den Umbau eines Flughafens.

Mit dem Besuch von Emmanuel Macron versucht Frankreich, das seinerseits Kooperations- und Sicherheitsabkommen mit Vanuatu unterzeichnet hat, der diplomatischen Offensive Chinas in der Region entgegenzuwirken. Die letzte Etappe der Pazifikreise des Präsidenten umfasst einen Besuch in Papua-Neuguinea, bei dem er in die Fußstapfen des amerikanischen Aussenminister tritt. Anthony Blinken war im Mai nach Papua-Neuguinea gereist, um ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich abzuschließen, da die chinesischen Investitionen auch auf diesem Archipel zunehmen.

Schließlich wird vom französischen Staatschef erwartet, dass er die Kolonialfrage aufgreift. Im Jahr 2023 jährt sich zum 170. Mal die Einnahme Neukaledoniens durch Frankreich unter Napoleon III. am 24. September 1853. Bei seinem vorherigen Besuch auf dem Archipel im Jahr 2018 hatte der Präsident die Originalurkunde dieser Inbesitznahme an die kaledonische Regierung übergeben. Ein Dokument, das bis dahin im Nationalarchiv für Überseegebiete in Paris aufbewahrt worden war.

Einige Jahre zuvor hatte das Naturkundemuseum in Paris den Schädel des Häuptlings Ataï zurückgegeben, einer 1878 getöteten zentralen Figur des Unabhängigkeitskampfes, deren Kopf abgetrennt und als Trophäe nach Frankreich geschickt worden war. Die Rückgabe der sterblichen Überreste an die Nachkommen wurde von dem Pariser Museum bei einer Zeremonie in der französischen Hauptstadt in Anwesenheit der damaligen Ministerin für Überseegebiete durchgeführt. Auch wenn dieses Mal keine so starke Geste zu erwarten ist, könnte Emmanuel Macron seinen Besuch nutzen, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.


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