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Die Europäische Kommission hat am 2. Juli 2025 ihren Vorschlag zur Reduktion der Netto-Treibhausgasemissionen um 90 Prozent bis 2040 im Vergleich zu 1990 vorgelegt. Mit diesem ambitionierten Zwischenziel will Brüssel den Weg zur Klimaneutralität bis 2050 ebnen – ein zentrales Element des Europäischen Green Deal und des Klimagesetzes der EU. Doch der Vorstoß löst in den Mitgliedstaaten und bei der Wirtschaft kontroverse Reaktionen aus.

Die Empfehlung der Kommission stützt sich auf die Analyse des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats zum Klimawandel, der eine Reduktion von 90 bis 95 Prozent bis 2040 für erforderlich hält, um die Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen einzuhalten. Damit soll die Lücke zwischen dem bisherigen Ziel einer Emissionsminderung um 55 Prozent bis 2030 und der angestrebten Netto-Null-Emission bis 2050 geschlossen werden.

Das 90-Prozent-Ziel bezieht sich auf Nettoemissionen. Es berücksichtigt also auch CO₂-Senken – natürliche wie Wälder oder technologische wie Carbon Capture and Storage (CCS). Zudem rechnet die EU mit internationalen Kompensationsprojekten, was bei Umweltverbänden teils Kritik hervorruft.

Nationale Interessen versus europäische Klimapolitik

Die Reaktionen der Mitgliedstaaten auf den Vorschlag fallen heterogen aus. Frankreich unterstützt das Ziel grundsätzlich, fordert jedoch mehr Flexibilität bei der Umsetzung. Präsident Emmanuel Macron betonte, Klimaschutz müsse mit wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit vereinbar bleiben: „Wenn wir diese Ziele für 2040 erreichen wollen, müssen wir uns die Mittel dafür geben und sicherstellen, dass sie mit unserer Wettbewerbsfähigkeit kompatibel sind.“

Auch Deutschland äußerte sich bislang verhalten, während osteuropäische Staaten auf die sozialen und wirtschaftlichen Risiken einer zu raschen Transformation hinweisen. Vor allem Länder mit stark kohlenstoffintensiven Industrien befürchten Wettbewerbsnachteile, falls internationale Partner nicht ähnliche Ambitionen verfolgen.

Investitionsbedarf von historischem Ausmaß

Die Umsetzung des 90-Prozent-Ziels erfordert gewaltige Investitionen. Nach Berechnungen des französischen Think-Tanks Institut Rousseau muss Europa jährlich rund 1.520 Milliarden Euro investieren, um bis 2050 klimaneutral zu werden – insgesamt etwa 40.000 Milliarden Euro. Schwerpunkte liegen dabei auf der Dekarbonisierung der Industrie und Landwirtschaft, dem Ausbau erneuerbarer Energien sowie der energetischen Gebäudesanierung.

Doch angesichts wachsender Haushaltsdefizite und der Debatten über fiskalische Konsolidierung droht die Finanzierung zur politischen Achillesferse zu werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass ohne eine Reform der europäischen Fiskalregeln sowie eine stärkere Mobilisierung privater Mittel die Zielerreichung gefährdet sein könnte.

Wettbewerb um die Klimaführerschaft

Die neue Zielmarke ist auch geopolitisch motiviert. Mit dem 2040-Ziel will die EU ihr globales Klimaleadership untermauern – nicht zuletzt gegenüber China, das laut aktuellen Studien (IEA, 2025) weiterhin rund 30 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verursacht. Gleichzeitig will Brüssel die Transformation der eigenen Wirtschaft beschleunigen, um im internationalen Technologiewettbewerb zu bestehen.

Allerdings betonen Ökonomen wie Philippe Aghion (Collège de France), dass eine erfolgreiche Klimapolitik Innovation und Investitionen gleichzeitig fördern müsse. Zu restriktive Regulierungen könnten hingegen Abwanderungseffekte („Carbon Leakage“) verstärken und die Nettoeffekte auf das globale Klima mindern.

Politische Hürden auf dem Weg zur Umsetzung

Bevor das 2040-Ziel in Kraft treten kann, müssen Europäisches Parlament und Rat zustimmen. Die anstehenden Verhandlungen dürften sich über Monate erstrecken. Im Zentrum stehen dabei Fragen der fairen Lastenverteilung zwischen Mitgliedstaaten, die Ausgestaltung von Übergangsregelungen für emissionsintensive Branchen sowie neue Finanzierungsinstrumente, etwa ein gestärkter Innovationsfonds.

Trotz aller Kontroversen markiert der Vorschlag einen weiteren Meilenstein in der europäischen Klimapolitik. Ob er zu einem politischen Erfolg wird, hängt jedoch weniger von den Zielvorgaben als von ihrer Umsetzung ab – und davon, ob Europa den schwierigen Spagat zwischen Dekarbonisierung und wirtschaftlicher Stärke meistert.

Autor: P. Tiko

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