Tag & Nacht

Europa befindet sich im Schockzustand. Die jüngsten verheerenden Fluten in Spanien fordern uns erneut heraus, Fragen zu stellen – unbequeme Fragen, die nicht mehr länger beiseitegeschoben werden können. 214 Menschenleben verloren, überflutete Straßen, zerstörte Städte. Und die erschütterndste Frage bleibt: Warum war ein Land wie Spanien, mit all seinen Ressourcen, nicht auf diese Flut vorbereitet?

Die Antwort ist vielschichtig und betrifft nicht nur Spanien. Sie liegt auch im Umgang Europas mit dem Klimawandel und dessen oft verharmlosten Gefahren. Jahr für Jahr sehen wir Extremwetterereignisse, die Leben kosten, Existenzen zerstören und doch kaum spürbare Konsequenzen im politischen Handeln nach sich ziehen.

Europas gefährlicher Trugschluss: „Uns wird schon nichts passieren“

Lange war es in der Wahrnehmung vieler Menschen so, dass der Klimawandel eine Bedrohung für ferne Länder im globalen Süden darstellt. Überschwemmungen, Dürren, Hungersnöte – das alles sah man in Entwicklungsländern, weit entfernt und scheinbar irrelevant für das Leben in Europa. Es herrschte eine falsche Sicherheit, ein Glaube, dass Europa mit all seiner Technologie und allen seinen Ressourcen sicher sei. Doch die Realität holt uns ein.

Extremwetter, angetrieben durch die Nutzung fossiler Brennstoffe, ist längst zu einer akuten Gefahr für Europa geworden. Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen der Erderwärmung: mehr Stürme, intensivere Fluten, tödliche Hitzewellen. Doch viel zu oft wird Extremwetter noch immer als „Anomalie“ abgetan – als ein unglückliches Ereignis, das man einfach hinnehmen muss.

Attributionsforschung – ein Weckruf für die Realität

Im Jahr 2014 wurde von engagierten Klimaforschern, wie der Deutschen Dr. Friederike Otto, die Organisation World Weather Attribution ins Leben gerufen, um diese Perspektive zu ändern. Es geht darum, nach extremen Wetterereignissen schnell und präzise zu analysieren, welchen Einfluss der Klimawandel auf die Katastrophe hatte. So kann man unmittelbar nach solchen Katastrophen die Frage beantworten: War das „nur“ Wetter, oder zeigt es eine klare Klimasignatur?

Nach der Regen- und Flutkatastrophe in Spanien zeigte eine Analyse, dass der Klimawandel den extremen Regen um etwa 12 % verstärkte und die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses verdoppelte. In einem Land wie Spanien sollten solche Informationen doch eigentlich für einen klaren Handlungsbedarf sorgen. Doch noch immer ist die Bereitschaft, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, erstaunlich gering.

Unvorbereitet, trotz Vorwarnung? Die fatale Lücke im Katastrophenschutz

Ein erschreckendes Detail: Die Warnungen vor den Überschwemmungen in Spanien kamen viel zu spät. Anstatt Menschen rechtzeitig zu evakuieren, erhielten viele die Information erst, als das Wasser bereits in die Häuser eindrang. Manche versuchten noch in letzter Minute, ihre Autos aus Tiefgaragen zu retten – mit fatalen Folgen.

Ähnliche Szenen ereigneten sich im Jahr 2021 in Deutschland. Auch dort fehlten präzise Evakuierungsanweisungen und klare Notfallpläne, besonders für gefährdete Gruppen. In der deutschen Stadt Sinzig etwa ertranken zwölf Menschen in einem Behindertenheim, weil sie schlichtweg keine Chance zur Flucht hatten. Ein solcher Verlust ist tragisch – und unnötig.

Die Forschung zeigt, dass in fast allen Fällen extremer Regenfälle die Vorhersage sehr präzise war. Doch was fehlt, ist eine konkrete, leicht zugängliche Anleitung für die Menschen vor Ort. Wohin soll man gehen? Welche Routen sind sicher? Wer hilft jenen, die sich nicht selbst helfen können? Die lokalen Behörden sind in dieser Hinsicht entscheidend, doch oft genug sind sie mit unzureichenden Mitteln ausgestattet und haben kaum Handlungsspielraum. In Valencia wurde die zuständige Notfalleinheit sogar abgebaut – ein Schritt, der nun möglicherweise vielen Menschen das Leben gekostet hat.

Prävention statt Schadensbegrenzung: Europa muss umdenken

Hier stehen wir nun und fragen uns: Warum investieren wir nicht stärker in die Katastrophenprävention? Warum konzentriert sich der EU-Haushalt so stark auf das Reparieren von Schäden, anstatt auf das Vorbeugen von Katastrophen? Ein Großteil der Mittel fließt erst nach den Ereignissen – wenn die Zerstörung bereits geschehen ist. Präventive Maßnahmen jedoch könnten Tausende Leben retten und extreme Schäden abwenden.

Ein präventiver Fonds innerhalb der EU könnte Ländern wie Spanien helfen, ihre Notfallpläne zu verbessern, Trainings und Simulationen durchzuführen und sicherzustellen, dass Städte auch auf das Unerwartete vorbereitet sind. Denn eines ist klar: Wir erleben derzeit eine Erderwärmung von 1,3 °C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Ohne drastische Maßnahmen werden wir bis 2100 möglicherweise bis zu 3 °C erreichen – mit verheerenden Konsequenzen durch Extremwetter in ganz Europa.

Die Notwendigkeit, Städte klimafest zu machen

Es reicht nicht, nach Katastrophen wieder das gleiche System aufzubauen, nur um erneut überrascht zu werden. Europa muss in der Stadtplanung umdenken und dem Klimawandel mit nachhaltigen Lösungen begegnen. Unsere Städte sind auf Beton und Asphalt aufgebaut, Flüsse und Bäche wurden fast überall kanalisiert. All das ist optimal für den Autoverkehr, aber eine Katastrophe, wenn der Regen kommt. Asphaltierte Flächen lassen kein Wasser durch – das Ergebnis: Fluten, die schnell und ohne Ausweichmöglichkeit auf die Bewohner der Städte treffen.

Warum geben wir den Flüssen nicht wieder mehr Raum? Überschwemmungsflächen könnten gezielt angelegt werden, um das Wasser sicher abzuleiten. Städte könnten durchdachter gestaltet und die Böden weniger stark versiegelt werden. Doch Europa expandiert, baut seine Städte weiter aus und versiegelt immer mehr Flächen – ein gefährlicher Weg, wenn wir überleben wollen.

Die Wahrheit: Klimaanpassung ist ein Überlebensinstrument

Was muss noch passieren, damit wir in Europa das Ausmaß der Klimakrise erkennen? Die Zukunft, auf die wir zusteuern, wird uns immer mehr Extremwetter bescheren. Eine Zukunft, in der Hitzewellen häufiger auftreten, Fluten intensiver werden und Stürme noch gefährlicher. Wenn wir nicht rechtzeitig reagieren, wenn wir nicht lernen, mit diesen neuen Gegebenheiten zu leben und unsere Systeme radikal anzupassen, dann werden wir noch viele weitere Tragödien wie die in Spanien erleben.

Jetzt ist die Zeit zu handeln – präventiv, entschlossen und nachhaltig. Europas Sicherheit und die Sicherheit seiner Menschen hängt davon ab, wie schnell wir bereit sind, die bittere Wahrheit zu akzeptieren und die notwendigen Veränderungen umzusetzen.

Quelle: Why did so many die in Spain? Because Europe still hasn’t accepted the realities of extreme weather (Dr. Friederike Otto)


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