Tag & Nacht

Die zahlreichen Krankmeldungen bei der Polizei als Reaktion auf die Untersuchungshaft eines Polizisten in Marseille scheinen Alarmzeichen zu sein, die zeigen, dass dieser Beruf in Schwierigkeiten steckt. Wo aber steht Frankreich im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn?

Nach der Polemik um die Inhaftierung eines wegen Gewalttätigkeiten in Marseille angeklagten Polizisten ist die Frage nach den Arbeitsbedingungen der Polizeibeamten in Frankreich in den Mittelpunkt der Debatten gerückt. Sie seien zu wenig ausgebildet und werden sehr jung in die sensibelsten Gebiete des Landes geschickt, so die Kritik. Sieht es in anderen europäischen Ländern besser aus als in Frankreich?

In Frankreich dauert die Ausbildung von Polizisten 8 Monate in einer speziellen Schule und 16 Monate im Einsatz. Nach den Anschlägen von 2015, als der Bedarf vor Ort sehr hoch war, wurde die Ausbildungszeit verkürzt. Eine Ausbildung, die zu kurz und zu sehr auf Stärke ausgerichtet ist, so wird der Soziologe Sébastan Roché von France Info zitiert. „Wenn eine Ausbildung von 12 Monaten auf 8 Monate in der Schule verkürzt wird, haben Sie keine Zeit für eine umfassende Ausbildung, eine ethische Ausbildung der Beamten. Man bringt den Polizisten bei, sich mit Gewalt Respekt zu verschaffen“, kommentiert er.

France Info stellt außerdem fest, dass in Deutschland, Finnland und Norwegen die Ausbildung der Polizisten drei Jahre dauert und dass dort die Strategie nicht die gleiche ist, sie ist mehr auf Kommunikation ausgerichtet. In Schweden und Deutschland befassen sich spezielle Ausbildungsmodule mit Ethik, Kenntnissen der Institutionen und der politischen, sozialen, religiösen und ethnischen Gruppen, die die jeweilige Gesellschaft bilden.

Der französische Innenminister Gérald Darmanin scheint sich einiger Mängel in der Ausbildung seiner Polizisten bewusst zu sein. Im November 2020 räumte er ein, dass man „einen grundlegenden Fehler begangen hat, indem man die Grundausbildung der Polizisten verkürzt hat“.

Gibt es im Vergleich zu den europäischen Nachbarn in Frankreich einen Mangel an Polizisten?
Eine Studie von Euronews hat die Anzahl der Polizisten in Europa verglichen und herausgefunden, dass Frankreich mit 3,3 Polizisten pro 1.000 Einwohner knapp über dem europäischen Durchschnitt liegt. „Frankreich ist also keineswegs ein armes Land. So liegt Deutschland, wo die Polizei stärker dezentralisiert ist als in Frankreich, mit einem Index von 3 knapp unter dem französischen Durchschnitt. In Spanien gibt es 3,6 Polizisten pro 1.000 Einwohner. Außerhalb der Europäischen Union, im Vereinigten Königreich, liegt dieser Index bei 2,1 für England und Wales, gegenüber 3,2 für Schottland und 3,6 für Nordirland, so die Euronews-Studie.

In Frankreich wollte Emmanuel Macron den Personalbestand der Polizei weiter aufstocken, indem er zwischen 2018 und 2022 etwa 10.000 Stellen schuf. Dies sollte durch eine Erhöhung der Zulassungsquote (und damit eine leichte Senkung des erforderlichen allgemeinen Niveaus) bei den Aufnahmeprüfungen für den Polizeidienst erreicht werden. Euronews schreibt dazu, dass die Zahl der Bewerber stabil bei etwa 20.000 pro Jahr liegt, die Zulassungsquote aber zwischen 2010 und 2018 von 2 % auf 18 % der Bewerber gestiegen ist.

Dennoch beklagen Beobachter, dass wichtige Glieder in der Hierarchie der Polizei gestrichen wurden. Es wurden Zwischenposten gestrichen und die bürgernahe Polizei abgebaut – Entscheidungen, die andere europäische Länder nicht getroffen haben.

Französische Polizisten geben an, die am schlechtesten bezahlten Polizeibeamten in Europa zu sein. Bei genauerem Hinsehen sieht es aber so aus, dass ihr durchschnittliches Gehalt gar nicht so weit von dem ihrer europäischen Kollegen entfernt ist. Die offizielle Website der nationalen Polizei zeigt in einer Vergleichstabelle, dass ein angehender Polizist durchschnittlich 2.000 Euro im Monat (2.100 in der Region Île-de-France) erhält, also etwas mehr als in Belgien, wo das Gehalt 1.737 Euro ohne Zulagen beträgt, und in Spanien, wo es 1.800 Euro im Monat beträgt.

Daneben bereitet in Frankreich die Frage der unbezahlten Überstunden dem Innenministerium und den Polizisten im Allgemeinen seit fast zehn Jahren Kopfzerbrechen. Im Jahr 2018 erreichte die Zahl der geleisteten, aber unbezahlten Überstunden einen Höchststand von 23 Millionen, wie einem Bericht des Senats zu entnehmen war. Fünf Jahre später waren es 16,5 Millionen, eine Gesamtzahl, der im Entwurf des Haushaltsgesetzes für 2023 ein Kreditrahmen von 45,2 Millionen Euro gegenübersteht. Die Überstundenproblematik ist aber schwer mit der in anderen Ländern Europas zu vergleichen.


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