Tag & Nacht

Seit mehreren Wochen lebt frankreich im Rhythmus aufeinanderfolgender Hitzeperioden. Aber nicht nur die Erde überhitzt sich: Ende Juli erreichte die Oberflächentemperatur des Mittelmeers mit 30,7 °C einen Rekordwert. Dieses Phänomen der „Meereshitze“ wird aufgrund der globalen Erwärmung in den Meeren und Ozeanen immer häufiger, mit dramatischen Folgen für die Artenvielfalt.

Auch unter Wasser spielt das Thermometer verrückt. Ende Juli erreichte die Temperatur des Mittelmeers vor der Küste von Alistro im Osten Korsikas laut dem meteorologischen Observatorium Keraunos mit 30,7 °C einen Rekordwert. Am nächsten Tag wurden in Villefranche-sur-Mer, nur wenige Kilometer von Nizza entfernt, 29,2 °C Wassertemperatur gemessen. So etwas hat es noch nie gegeben, zu dieser Jahreszeit liegt die Temperatur des Mittelmeers normalerweise zwischen 21 und 24 °C.

Wissenschaftler sprechen von einer „marinen Hitzeperiode. Wie ihr Pendant an Land zeichnet sie sich durch für die Jahreszeit ungewöhnlich hohe Temperaturen aus und kann mehrere Tage oder sogar Wochen andauern und ein mehr oder weniger großes Gebiet betreffen. Zur Zeit dauert sie laut Experten seit Ende Juni an und betrifft den gesamten westlichen Mittelmeerraum vom Stiefel Italiens bis nach Spanien.

Marine Hitzewellen im Zusammenhang mit terrestrischen Hitzewellen
Diese Klimaanomalie hängt mit den aufeinanderfolgenden Hitzewellen zusammen, die Süd- und Westeuropa in den letzten Wochen heimgesucht haben. Die Temperatur in der Atmosphäre und die Temperatur im Ozean stehen in enger Relation: Wenn wir über die globale Erwärmung sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass 90% der Wärme, die sich seit der vorindustriellen Zeit angesammelt hat, vom Ozean absorbiert wurde.

Wenn es einen Überschuss an Wärme in der Atmosphäre gibt, wird der Ozean versuchen, diese Wärme zu absorbieren, und das kann zu einer Überhitzung des Wassers führen. Das geht allerdings nur unter einer Bedingung: Das Wasser muss ruhig sein und es darf keinen Wind geben. Das ist aber genau die Situation, die im Moment im Mittelmeer herrscht. Windstösse führen dazu, dass sich das warme Wasser an der Oberfläche mit dem kühleren Wasser in der Tiefe vermischt und dadurch die an der Oberfläche gemessene Temperatur sinkt.

Marine Hitzewellen sind nicht auf das Mittelmeer beschränkt. Der Pazifische Ozean, insbesondere der Nordpazifik und Westaustralien, waren bereits von marinen Hitzewellen betroffen. In jüngster Zeit wurden sie auch im Südatlantik und im Arktischen Ozean beobachtet, wie der Marine Heatwave Tracker, eine Software zur Identifizierung von ozeanischen Hitzewellen auf dem gesamten Globus, zeigt.

Verheerende Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme
Diese plötzlichen, punktuellen Temperaturanstiege, die zur globalen Erwärmung der Ozeane hinzukommen, haben verheerende Folgen für die Wasserflora und -fauna. Ein Team von 70 Wissenschaftlern hat wir die Auswirkungen im Mittelmeer für den Zeitraum von 2015 bis 2019 untersucht und hat festgestellt, dass bei etwa 50 Arten ein Massensterben stattgefunden hat.

Die Hauptopfer der Erwärmung: Korallen, Seeigel, Schwämme, aber auch die Posidonia, eine Pflanze, die die Eigenschaft hat, große Mengen an Kohlenstoff im Boden zu speichern. In Spanien prognostizieren einige Wissenschaftler sogar, dass die Posidonia bis 2040 von den Balearen vollständig verschwinden könnte.

Auf der anderen Seite der Erdkugel sind diese Meereshitzewellen massgeblich an der Ausbleichung des Great Barrier Reefs beteiligt. Laut einem Bericht der australischen Regierung, der im Mai veröffentlicht wurde, sind 91% des Riffs aufgrund einer lang anhaltenden Hitzewelle im Sommer bleich geworden. Insgesamt werden 50% der weltweiten Korallenriffe als langfristig durch die Erwärmung der Ozeane bedroht angesehen.

Flucht oder Überleben
Während diese statischen Arten dazu verurteilt sind, sich an die neuen Temperaturen anzupassen oder zu sterben, fliehen einige Fische, Krustentiere und Meeressäuger aus ihrem Lebensraum in kühlere Gewässer. Diese Wanderungen können tausende von Kilometern betragen, wie eine im Oktober 2020 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie ergab.

Auf diese Weise kommen im Mittelmeer Arten an, die normalerweise das Rote Meer oder den südlichen Atlantik bevölkern, während andere aus dem Süden des Meeres in den Norden wandern. Einige dieser Arten sind harmlos, aber andere, wie etwa der Kaninchenfisch, sind sehr gefräßig und fressen grosse mengen an Algen, was zu einer weiteren Verschlechterung des Lebensraums führt und die noch vorhandenen einheimischen Arten gefährden kann.

Aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht kann all dies grosse negative Folgen für die Fischerei haben – bestimmte Fischarten etwa werden in bestimmten Gebieten knapp werden.

Wissenschaftler schlagen Alarm und warnen davor, dass mit der globalen Erwärmung die Hitzewellen auf der Erde zunehmen und sich intensivieren werden. Dasselbe wird auch für die marinen Hitzeperioden gelten.

Im Jahr 2019 enthüllte der Bericht des Weltklimarats über die Ozeane und die Kryosphäre, dass sich die Intensität, das Ausmaß und die Dauer der marinen Hitzewellen zwischen 1982 und 2016 bereits verdoppelt hatten. Und die Klimaforscher warnen: Wenn wir bei einer Erwärmung um weitere zwei Grad bleiben, werden die ozeanischen Hitzewellen um das 20-fache zunehmen. Nur ein weiteres Grad darüber hinaus werden sie um das 50-fache zunehmen.

Ganz abgesehen davon, dass diese Hitzespitzen für die Menschen noch eine weitere Konsequenz haben können: Sie führen zu starken Niederschlägen und Überschwemmungen. Wenn nämlich das Mittelmeer im Frühherbst warm ist, entstehen mit grossen Mengen verdunstetem Meerwasser gefüllte Wolken, was zwangsläufig zu starken Regenfällen und Überschwemmungen führt – das ist bei den großen Hochwassern im Jahr 2019 passiert.


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