35 Grad – mitten im September und kurz vor Herbstanfang. Klingt nach einem meteorologischen Ausrutscher, ist aber längst kein Einzelfall mehr. Frankreich erlebt am heutigen Freitag, dem 19. September, einen markanten Hitzespitzenwert – einen sogenannten „sursaut de l’été“, also ein spätsommerliches Aufflackern, das sich mit zunehmender Regelmäßigkeit in den Herbst hineinschiebt.
Was früher als Laune der Natur galt, ist heute ein weiteres Symptom eines größeren Problems: der menschengemachte Klimawandel.
Fast das ganze Land ist betroffen. In Bordeaux klettert das Thermometer auf 32 Grad, in Paris werden 29 Grad erwartet, in Toulouse 28 Grad und in Lille immerhin noch 27 Grad. Besonders heiß wird es im Südwesten – in den Ebenen der Gironde, in Lot-et-Garonne, Landes und Gers könnten die Temperaturen sogar die 35-Grad-Marke knacken. Ein Wert, der laut Météo-France nach dem 15. September höchst selten war – zumindest früher.
Doch was ist heute noch „normal“?
In der nördlichen Landeshälfte zeigen sich die Extremwerte etwas gedämpfter, aber auch dort können in Regionen wie den Hauts-de-France, der Normandie, dem Pariser Becken oder in der Bourgogne punktuell 30 Grad erreicht werden. Im Durchschnitt liegt die Temperatur an diesem Tag über das gesamte französische Staatsgebiet hinweg rund 5,2 Grad über dem langjährigen Mittelwert. Eine Abweichung, die längst keine bloße Wetterkapriole mehr ist, sondern deutlicher Fingerzeig auf eine sich verändernde Klimarealität.
Nur eine Region fällt ein wenig aus dem Hitzemuster: Der Nordwesten, vor allem Bretagne und Cotentin, spüren die kühlende Hand des atlantischen Ozeans. In Brest bleibt es mit rund 19 Grad angenehm mild.
Schon am Vortag haben mehrere Messstationen in Okzitanien und der Gironde Temperaturen jenseits der 33 Grad registriert – Vorboten dessen, was heute in voller Wucht über das Land hinwegzieht. Doch das Sommer-Comeback hat ein Ablaufdatum: Bereits am Samstag hält sich die Hitze nur noch in einigen Regionen, bevor am Sonntag eine markante Wetterwende folgt – mit Gewittern, Regen und Temperaturstürzen auf unter 15 Grad in manchen Gebieten.
Ein meteorologischer Stimmungswechsel? Sicher. Aber auch ein Blick auf das, was uns immer häufiger erwartet.
Denn dieser Hitzeschub ist kein Zufall, sondern direkte Folge einer globalen Entwicklung. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die durchschnittliche Temperatur der Erde um 1,1 Grad erhöht. Diese Zahl klingt harmlos – doch sie steht für einen tiefgreifenden Wandel. Wissenschaftler sind sich einig: Hauptverantwortlich dafür sind menschliche Aktivitäten, insbesondere die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas. Die Geschwindigkeit dieses Temperaturanstiegs ist ohne Beispiel in der Erdgeschichte – und sie überfordert nicht nur die natürlichen Kreisläufe, sondern auch unsere gesellschaftlichen Systeme.
Wie sehr der Klimawandel bereits unseren Alltag beeinflusst, zeigt sich nicht mehr nur in apokalyptischen Szenarien, sondern in ganz konkreten Lebensrealitäten. In Bauernhöfen, die unter Dürre leiden. In Städten, die nachts nicht mehr abkühlen. In Menschen, die gesundheitlich unter der Hitze ächzen – insbesondere Alte, Kranke und Kinder.
Und da stellt sich unweigerlich die Frage: Müssen wir uns an 35 Grad im September gewöhnen?
Die Antwort ist komplex – sie liegt nicht nur in der Anpassung, sondern in der Veränderung. Die gute Nachricht: Es gibt Lösungen. Der Ausbau erneuerbarer Energien, ein bewussterer Lebensstil, etwa durch weniger Fleischkonsum und geringeren Energieverbrauch, sowie politische Weichenstellungen für mehr Klimaschutz sind kein utopisches Wunschdenken, sondern machbare, greifbare Maßnahmen.
Ob sie rechtzeitig umgesetzt werden – das wird über die Zukunft entscheiden.
Doch eines ist schon jetzt klar: Der Herbst, wie wir ihn kannten – golden, kühl, verlässlich – steht vor einem Umbruch. Und mit ihm eine ganze Generation, die sich neu orientieren muss in einem Klima, das aus den Fugen geraten ist.
Autor: Andreas M. Brucker
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