Keir Starmer, der neue Premierminister des Vereinigten Königreichs, hat in Berlin und Paris seine Ambitionen klar gemacht: Großbritannien will wieder enger mit seinen europäischen Nachbarn zusammenarbeiten. Ein Zurück zum Brexit wird es zwar nicht geben, aber Starmer plant, das Vertrauen in Europa neu aufzubauen und die britische Wirtschaft zu stärken.
Doch was bedeutet das konkret?
Ein diplomatischer Besuch mit Signalwirkung
Am 28. August 2024 stand Berlin auf dem Besuchsplan von Starmer. In Gesprächen mit Olaf Scholz betonte er, dass Großbritannien die Beziehungen zu seinen europäischen Nachbarn, die in den letzten acht Jahren stark gelitten haben, dringend verbessern möchte. In Paris, seiner zweiten Station, nahm er an der Eröffnungsfeier der Paralympischen Spiele teil – ein symbolträchtiger Akt, der die Nähe zwischen den Ländern unterstreichen sollte.
Seit seinem Amtsantritt im Juli hat Starmer wiederholt betont, dass es ihm wichtig ist, die Partnerschaft mit der EU zu erneuern. Aber ein Rücktritt vom Brexit? Den wird es nicht geben. Die britische Bevölkerung hat vor acht Jahren mit dem Brexit eine Entscheidung getroffen, die vier Jahre später umgesetzt wurde – auch wenn viele heute damit unzufrieden sind.
Wirtschaftliche Erholung im Fokus
Starmer hat klargestellt, dass Großbritannien nicht in den europäischen Binnenmarkt oder die Zollunion zurückkehren wird. Dennoch möchte er den Handel mit der EU ankurbeln und sich als „Freund und Partner“ der 27 EU-Mitgliedstaaten positionieren. Sein Hauptziel? Die wirtschaftliche Erholung Großbritanniens, das von den Jahren der konservativen Regierung wirtschaftlich schwer gebeutelt wurde.
In Berlin machte Starmer deutlich, dass sein kommender Haushalt für das Land schmerzhaft sein wird – aber notwendig, um die britische Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Er betonte, dass diese Aufgabe ohne Deutschland, Großbritanniens zweitwichtigsten Handelspartner, kaum zu bewältigen ist. Auch in Paris plant er, Gespräche mit französischen Geschäftsleuten zu führen, bevor er sich mit Emmanuel Macron im Élysée-Palast trifft.
Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Ein neuer Pakt
Neben wirtschaftlichen Fragen steht auch die Sicherheitspolitik ganz oben auf Starmers Agenda. Er und Scholz kündigten die Unterzeichnung eines bilateralen Vertrages bis Ende 2024 an, den sie als „die Chance einer Generation“ bezeichnen. Dieser Vertrag soll insbesondere die Verteidigungszusammenarbeit stärken – ein Bereich, in dem Deutschland und Großbritannien, nach den USA, führend sind, wenn es um militärische Unterstützung für die Ukraine geht.
Ein heißes Eisen: Das Thema Einwanderung
Nicht zuletzt wird die Einwanderungspolitik ein entscheidendes Thema in den Gesprächen zwischen London, Berlin und Paris sein. Die Diskussionen werden durch zwei tragische Ereignisse angeheizt, die kürzlich in Großbritannien und Deutschland stattfanden. In England kam es nach einem Messerangriff auf drei Mädchen durch ein autistisches Kind, das von Immigranten abstammt, zu rassistischen Ausschreitungen. In Deutschland wiederum entfachte der mörderische Anschlag eines Syrers in Solingen, der von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ für sich beansprucht wurde, die Debatte um die Einwanderung erneut und stärkte die extreme Rechte.
Auch in den Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich war die Einwanderungsfrage in den letzten Jahren ein ständiger Streitpunkt, besonders im Hinblick auf die sogenannten „small boats“, mit denen Migranten den Ärmelkanal überqueren. Die konservative Regierung in London hatte dieses Thema zu einem politischen Markenzeichen gemacht – ein Problem, das nun Starmer lösen muss.
Ein Neuanfang mit Herausforderungen
Für Keir Starmer ist es eine Herkulesaufgabe, die „gebrochenen Beziehungen“ zu reparieren, die er als Erbe der vorherigen Regierung bezeichnet. Aber er setzt auf eine Kombination aus diplomatischen Gesten, klaren Worten und konkreten bilateralen Abkommen, um das Vertrauen seiner europäischen Nachbarn zurückzugewinnen. Doch wird es ihm gelingen, den zerbrochenen Porzellanladen wieder zusammenzusetzen?
Die Zukunft der britisch-europäischen Beziehungen bleibt spannend – und schwierig. Aber eins ist klar: Mit Keir Starmer weht ein neuer Wind in Großbritannien.
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