Tag & Nacht


Weltweit sind Kinder weiterhin die großen Verlierer unserer Zeit – obwohl ihre Rechte auf dem Papier längst festgeschrieben sind.

Sie erleben Gewalt, Armut, Ausgrenzung. Ihre Stimmen werden überhört, ihre Rechte zu oft ignoriert. Und das nicht nur in Kriegsgebieten oder Krisenregionen – auch in Ländern wie Frankreich geraten zentrale Schutzmechanismen ins Wanken. Die Zahlen, die UNICEF für 2024 vorlegt, sprechen eine klare Sprache. Und sie ist alles andere als beruhigend.

Kinder im Schatten der Weltlage

Rund 400 Millionen Kinder – das ist jedes fünfte Kind weltweit – leben aktuell in Konfliktgebieten oder sind auf der Flucht. Zwischen 2005 und 2022 wurden mehr als 315.000 schwere Verletzungen von Kinderrechten in Kriegsgebieten offiziell bestätigt. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weitaus höher.

Und das ist nur ein Ausschnitt der Lage. In puncto rechtliche Identität etwa bleibt ein fundamentales Problem ungelöst: Noch immer sind rund 150 Millionen Kinder unter fünf Jahren weltweit nicht bei Geburt registriert – juristisch unsichtbar. Diese Unsichtbarkeit schneidet sie von Bildung, Gesundheitsversorgung und Schutzmechanismen ab. Sie existieren nicht – zumindest nicht für den Staat.

Zwar sind die globalen Kindersterblichkeitsraten in den letzten 30 Jahren erfreulich gesunken – von 1 Todesfall pro 11 Kinder auf 1 pro 27. Doch wo ein Problem sich leicht bessert, türmen sich andere auf: psychische Gesundheit, Zugang zu Bildung, Schutz vor Gewalt. Es sind diese Herausforderungen, die nicht auf internationalen Gipfeln verhandelt werden – aber das Leben von Millionen Kindern täglich beeinflussen.

Frankreich: Mehr Licht, aber auch viel Schatten

Wer glaubt, dass es in einem Land wie Frankreich automatisch besser aussieht, irrt. Zwar sind die strukturellen Voraussetzungen deutlich besser als in vielen Weltregionen – aber auch hier wackelt das Fundament.

Laut dem französischen UNICEF-Observatorium berichten 11,8 % der 16- bis 25-Jährigen im Jahr 2023 von erheblichen Leseschwierigkeiten. Bei Kindern zwischen 6 und 11 Jahren zeigten 13 % im Jahr 2022 Anzeichen einer wahrscheinlichen psychischen Erkrankung.

Auch die Sicherheit ist brüchig: 54 % der registrierten körperlichen Gewalttaten gegen Kinder im Jahr 2023 ereigneten sich im familiären Umfeld. 30 % der sexualisierten Gewaltfälle ebenfalls. In Frankreich. Heute.

Am härtesten trifft es die, die ohnehin am wenigsten haben: 2024 lebten 2.043 Kinder im Land ohne festen Wohnsitz – sprich: auf der Straße. Eine Zahl, die in einem Sozialstaat wie Frankreich eigentlich nicht existieren dürfte.

Warum dies mehr ist als Statistik

Was macht diese Erkenntnisse so dringlich? Warum reicht es nicht, einfach auf Fortschritte zu verweisen?

Weil Krisen sich überlagern – und verstärken. Kriege, Klimawandel, Armut, Migration: In der Summe führen sie dazu, dass Kinderrechte zwar in Verfassungen stehen, im Alltag aber oft auf der Strecke bleiben.

Weil Identitätslosigkeit eine lebenslange Hypothek ist. Wer ohne Geburtsurkunde aufwächst, bleibt draußen – aus Schulen, Krankenhäusern, sozialen Sicherungssystemen.

Weil die vermeintlichen Fortschritte brüchig sind. Die Zahl der überlebenden Kleinkinder steigt – aber was ist mit ihrer psychischen Gesundheit, ihrer Bildung, ihrem Schutz?

Und weil auch in Frankreich viele Kinder faktisch nicht vorkommen: Kinder aus Überseegebieten, aus Migrantenfamilien, aus sozial prekären Verhältnissen. Über sie gibt es oft keine belastbaren Daten – und wo keine Daten sind, fehlt meist auch die politische Reaktion.

Was jetzt geschehen muss

Die gute Nachricht: Es gibt konkrete Ansätze. Die schlechte: Sie werden nicht entschlossen genug umgesetzt.

Erstens: Ohne juristische Identität ist alles andere hinfällig. Eine konsequente Geburtenregistrierung ist die erste Bedingung für alle weiteren Kinderrechte.

Zweitens: Kinderschutzsysteme müssen gestärkt werden – gegen Gewalt, aber auch zur Förderung psychischer Gesundheit und inklusiver Bildung.

Drittens: Kinder brauchen Mitsprache. Nicht nur als Schutzobjekte, sondern als Subjekte mit Rechten. Sie müssen gehört werden – nicht nur symbolisch.

Viertens: Die Schere zwischen Regionen und sozialen Gruppen muss gezielter geschlossen werden. Kinder in den französischen Überseegebieten oder mit Migrationshintergrund verdienen die gleiche Aufmerksamkeit wie jene in Paris oder Lyon.

Fünftens: Ohne belastbare Daten kein Fortschritt. Die Erhebung kindbezogener Statistiken muss lückenlos und unabhängig erfolgen – ein Desiderat, das auch das französische Observatorium selbst klar benennt.

Kinderrechte: Realität oder Rhetorik?

Die zentrale Frage lautet: Meinen wir es ernst mit den Kinderrechten – oder benutzen wir sie nur als moralische Kulisse?

Denn wer genau hinschaut, erkennt: Kinder sind nicht nur die Zukunft – sie sind das verletzlichste Glied in der Kette gesellschaftlicher Verantwortung. Wer sie übergeht, riskiert langfristig den sozialen Zusammenhalt.

Kinderrechte sind keine freundliche Kür – sie sind Pflicht. Und dieser Pflicht wird derzeit vielerorts nicht genügt. Nicht in Gaza, nicht in Haiti, nicht in Paris. Die Probleme mögen sich unterscheiden, das Prinzip bleibt dasselbe.

Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Denn jedes Jahr, das verstreicht, ohne grundlegende Verbesserungen, ist ein verlorenes Jahr – für Millionen junger Leben.

Von C. Hatty

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