Tag & Nacht




Mikroplastik in unserem Blut. Giftstoffe in der Luft. Ozeane voller Kunststoffmüll. Was wie dystopische Zukunftsszenarien klingt, ist längst brutale Realität. Die Plastikverschmutzung ist nicht nur ein Umweltproblem – sie ist eine globale Gesundheitskrise. Und sie wird teurer, gefährlicher, tödlicher.

Ein neuer Bericht renommierter Wissenschaftler und Mediziner, veröffentlicht in der Fachzeitschrift The Lancet, schlägt Alarm: Plastik ist ein „gravierendes, wachsendes und unterschätztes“ Risiko für unsere Gesundheit. Jährlich entstehen laut den Expertinnen und Experten durch krankheitsbedingte Kosten Schäden in Höhe von über 1.500 Milliarden Dollar. Eine astronomische Summe – und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Denn die eigentlichen Kosten lassen sich nicht beziffern: das Leben von Kindern, das Leid kranker Menschen, der Verlust von Artenvielfalt, die Zerstörung ganzer Ökosysteme.

Was steckt hinter dieser dramatischen Einschätzung? Und was kann – oder muss – jetzt passieren?

Vom Einkaufskorb ins Erbgut

Plastik ist überall. In Verpackungen, Kosmetik, Kleidung, Autos – und immer häufiger in unseren Körpern. Mikro- und Nanoplastikpartikel gelangen über Nahrung, Trinkwasser und die Luft in den Organismus. Dort reichern sie sich in Organen an, verändern Zellstrukturen, begünstigen Entzündungen – mit bislang unvorhersehbaren Langzeitfolgen.

Schon heute gibt es deutliche Hinweise: Plastik steht in Zusammenhang mit hormonellen Störungen, Unfruchtbarkeit, Krebs, neurologischen Erkrankungen. Besonders gefährdet sind Kinder, Schwangere und Menschen in prekären Lebensverhältnissen.

Der US-amerikanische Forscher Philip Landrigan bringt es auf den Punkt: „Plastik tötet – vom Säuglings- bis ins Greisenalter.“

Die unsichtbaren Opfer

Plastikmüll liegt nicht nur am Strand oder treibt in Meereswirbeln. Die gefährlichste Form ist oft unsichtbar. Additive wie Weichmacher, Flammschutzmittel und Farbstoffe setzen sich in der Umwelt fest – und in unserem Körper. In ärmeren Ländern, wo Müll häufig verbrannt oder deponiert wird, entstehen zudem giftige Dämpfe, die ganze Gemeinden belasten.

Wen trifft das am härtesten? Die, die am wenigsten dafür können: Kinder, indigene Bevölkerungen, Menschen ohne politischen Einfluss.

Plastik ist damit auch eine soziale Frage – eine Frage der Gerechtigkeit.

Hoffnung in Genf?

Während in Genf Vertreter:innen von knapp 180 Staaten zusammenkommen, um über den ersten globalen Plastikvertrag zu verhandeln, ist der Druck immens. Die vorherige Gesprächsrunde im südkoreanischen Busan scheiterte – zu viele Interessenkonflikte, zu wenig Einigkeit.

Der neue Lancet-Bericht kommt nicht zufällig jetzt. Er soll ein Weckruf sein – eine letzte Mahnung.

Die Forderungen sind klar: verbindliche Ziele zur Reduzierung der Plastikproduktion, ein Verbot besonders schädlicher Chemikalien, Förderung von Alternativen und Recyclingsystemen, Gesundheitsmonitoring und internationale Forschung.

Vor allem aber braucht es politischen Mut. Und ein gemeinsames Verständnis: Gesundheitsschutz beginnt nicht erst in der Klinik, sondern beim Plastikmüll am Straßenrand.

Ein teures Schweigen

Wer jetzt zögert, spielt mit der Zukunft kommender Generationen. Die Kosten für Untätigkeit sind kaum absehbar. Jeder Tag ohne klare Regeln bedeutet: mehr Müll, mehr Krankheit, mehr Leid.

Und doch ist Hoffnung erlaubt. Denn es gibt bereits funktionierende Modelle: Länder wie Ruanda oder Kanada haben Einwegplastik konsequent verbannt. Unternehmen entwickeln biologisch abbaubare Materialien. Städte setzen auf Zero-Waste-Konzepte.

Was noch fehlt? Ein globaler Rahmen. Verbindlich, ambitioniert – und gerecht.

Und wir?

Was kann der Einzelne tun inmitten dieser scheinbar übermächtigen Krise?

Vielleicht reicht es schon, das nächste Mal im Supermarkt zweimal hinzuschauen. Die Plastikverpackung links liegen zu lassen. Bewusster zu konsumieren. Druck auf Politik und Wirtschaft auszuüben.

Denn am Ende ist auch das eine Wahrheit: Jeder Strohhalm zählt.

Autor: Andreas M. Brucker

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