Tag & Nacht

Sonntag, 8. Januar: Kontroverse um Äußerungen des bekannten Schauspielers Omar Sy über die Kriege in der Ukraine und in Afrika.

In einem Interview mit der Zeitung „Le Parisien“ wurde Omar Sy zum Krieg in der Ukraine befragt. Dabei sagte der Schauspieler Folgendes: „Die Ukraine war für mich keine grosse Offenbarung. Da ich Verwandte in Afrika habe, weiß ich, dass es dort immer Kinder im Krieg und zerbrochene Familien gab. Ich bin überrascht, dass die Menschen so betroffen sind. Heißt das, wenn es in Afrika ist, sind sie weniger betroffen“?

Diese Äußerungen legen den Finger auf eine echte Voreingenommenheit in der französischen und europäischen öffentlichen Wahrnehmung. Es handelte sich aber um eine Aussage, mit der an den Schrecken des Krieges erinnert werden sollte. Omar Sy sagte das etwas später in dem Interview sehr deutlich: „Ein Krieg bedeutet, dass die Menschheit untergeht, selbst wenn er am anderen Ende der Welt stattfindet“. Die Zeitung Le Parisien legte im Übrigen Wert auf die Feststellung, dass diese Äußerungen ohne Wut oder Feindseligkeit gefallen seien. Aber die Polemik war unvermeidlich, angeheizt von der extremen Rechten, einem Teil der Rechten und sogar von einem Teil der liberalen Mehrheit. Omar Sy sei ein undankbarer Mensch, der versuche, den Franzosen Schuldgefühle einzureden.

Fakt ist, dass Omar Sy Recht hat.
Seit dem 24. Februar dieses Jahres, dem Beginn des Krieges in der Ukraine, hat Frankreich – und das ist durchaus ein Verdienst – mindestens 100.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. In der öffentlichen Debatte war keine einzige kritische Stimme zu hören. Selbst der rechtsextreme Éric Zemmour, der sich vehement gegen jegliche Einwanderung ausspricht und zunächst Vorbehalte gegen Ukrainer geäußert hatte, musste zurückrudern. Umgekehrt muss man sich aber an die Ereignisse während der Libyen- und Syrien-Krise erinnern. Erst das Foto des dreijährigen Aylan Kurdi, der tot mit dem Gesicht nach unten an einem türkischen Strand aufgefunden wurde, brachte die französische Regierung dazu, Flüchtlinge aufzunehmen – wenn auch nur wenige – und die Stimmen, die die Einwanderung verurteilten, zum Schweigen zu bringen – wenn auch nicht für lange.

Die Äußerungen von Omar Sy verweisen auf eine Idee, die man oft hört: Wir würden von den Dramen, die sich in unserer Nähe abspielen, stärker betroffen sein. Manche sprechen sogar vom Gesetz des „Todeskilometers“. Nur: Das stimmt nicht so ganz. Der beste Beweis dafür ist, dass Paris näher an Tripolis als an Kiew liegt. Was hingegen Bestand hat, ist die sogenannte Theorie der sozialen Identität. Sie wurde in den 1970er Jahren von dem Psychologen Henri Tajfel entwickelt und seitdem durch jahrzehntelange sozialpsychologische Forschung untermauert. Was diese Theorie zeigt, ist, dass wir Menschen dazu neigen, uns den Menschen näher zu fühlen, ihnen mehr zuzuhören und mehr Einfühlungsvermögen zu entwickeln, die uns ähnlich sind, sei es aufgrund ihrer Kultur, Religion, Sprache, sozialen Herkunft – oder ihrer Hautfarbe.

Bei der Aufnahme von Flüchtlingen wird tatsächlich mit zweierlei Maß gemessen. Dies zeigt eine anekdotische, aber bedeutsame Bemerkung, die mehrere Kommentatoren zu Beginn des Ukraine-Kriegs gemacht haben, als sie über Flüchtlinge sprachen: „Aber stellt euch vor, das sind Leute, die dieselben Autos fahren wie wir!“. Ein Schelm, der darauf hinweist, dass die meistverkauften Autos auf dem afrikanischen Kontinent von den Konzernen Toyota, Volkswagen und Renault hergestellt werden…

Wenn man sich die Herkunft der Menschen ansieht, die 2021 in Frankreich Asyl beantragt haben, stellt man fest, dass unter den fünf wichtigsten Herkunftsländern Guinea und die Elfenbeinküste zu finden sind. Zwei ehemalige französische Kolonien, die insofern eine gemeinsame Geschichte mit Frankreich haben und deren Amtssprache Französisch ist. Was die Elfenbeinküste betrifft, so ist dies sogar ein Land, in dem es genauso viele Christen wie Muslime gibt. Und dennoch behaupten viele Politiker immer noch, dass es schwieriger wäre, Exilanten aus diesem Land zu integrieren als Ukrainer, die natürlich unsere ganze Solidarität verdienen, aber kein Wort unserer Sprache sprechen – trotz ihrer Autos, die unseren ähneln. Man müsste schon farbenblind sein, um die Gründe für diese Doppelmoral nicht zu erkennen.

Bedeutet dies, dass Franzosen Rassisten sind? Nein, die Franzosen sind keine Rassisten, zumindest nicht mehr als andere Menschen.

Die natürliche Tendenz, denjenigen Vorrang geben zu wollen, die wir als uns selbst ähnlich wahrnehmen, gibt es in allen Gesellschaften. Aber jeder – und das bezieht sich nicht nur auf Franzosen, sondern alle Europäer – sollte man in sich gehen, und wenn man in sich oder seinem Umfeld eine solche Tendenz erkennt, ist es sicherlich an der Zeit, darüber nachzudenken und die offensichtliche und unlogische Emotionalität dieser Haltung zu erkennen.

Und genau zu dieser Reflexion lädt Omar Sy ein. Die Politprofis aber, die Krokodilstränen über ukrainische Flüchtlinge vergießen, während sie ansonsten nicht einen Funken Mitgefühl für die Exilanten haben, die im Ärmelkanal oder im Mittelmeer ertrinken, verdienen es, dass der Rassismus, der ihr Denken und Handeln bestimmt, in vollem Umfang offengelegt wird.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag von Clément Viktorovitch auf der Webseite francetvinfo.fr.


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