Tag & Nacht

Mindestens elf beschädigte Unterseekabel in nur 15 Monaten – eine besorgniserregende Serie von Zwischenfällen in der Ostsee zwingt die NATO zum Handeln. Während einige Experten von unglücklichen Schiffsmanövern sprechen, vermuten andere gezielte Sabotageakte. Die Allianz reagiert nun mit verstärkter Überwachung im Rahmen der neuen Mission „Baltic Sentry“.

NATO verstärkt Präsenz – Jagd auf potenzielle Saboteure

Ein französisches Überwachungsflugzeug des Typs Atlantique 2 kreiste vergangene Woche stundenlang über der Ostsee. Die hochmoderne Kamera an Bord zoomte auf Frachtschiffe, beobachtete jede Bewegung auf ihren Decks und scannte das Meer von Deutschland bis Estland. Das Ziel: Auffällige Aktivitäten erkennen und potenzielle Täter identifizieren.

Auch militärische Schiffe patrouillieren verstärkt in der Region. Die Botschaft ist klar: Die NATO lässt sich nicht mehr überraschen.

NATO-Generalsekretär Mark Rutte formulierte es unmissverständlich:
„Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass wir zurückschlagen, dass wir sehen, was passiert, und dann die notwendigen Schritte unternehmen, damit es nicht wieder geschieht.“

Was steckt unter der Ostsee?

Die Ostsee ist ein Netzwerk aus kritischer Infrastruktur. Unterwasser-Stromleitungen, Glasfaserkabel und Pipelines verbinden die Anrainerstaaten miteinander.

Einige Schlüsselverbindungen sind:

  • Balticconnector: Ein 152 Kilometer langes Pipeline-System zwischen Finnland und Estland.
  • Baltic Cable: Eine Hochspannungsleitung zwischen Schweden und Deutschland.
  • C-Lion1: Ein 1.173 Kilometer langes Telekommunikationskabel zwischen Finnland und Deutschland.

Solche Kabel und Pipelines sind lebenswichtig – sie transportieren Strom, Daten und Gas. Ganze Volkswirtschaften hängen davon ab. 97 % des weltweiten Datenverkehrs laufen über Unterseekabel, darunter Finanztransaktionen in Billionenhöhe.

Zufall oder gezielte Sabotage?

Seit Oktober 2023 gab es elf Fälle von Kabelschäden in der Ostsee. Der jüngste Vorfall ereignete sich am vergangenen Sonntag, als ein Glasfaserkabel zwischen Lettland und der schwedischen Insel Gotland riss.

Unfälle mit Unterseekabeln sind nicht ungewöhnlich – statistisch wird irgendwo auf der Welt alle drei Tage ein Kabel beschädigt. Doch die Häufung in der Ostsee gibt Anlass zur Sorge.

Einige Vorfälle erscheinen höchst verdächtig. So vermuten finnische Ermittler, dass der Öltanker Eagle S, der am 25. Dezember gleich drei Kabel zwischen Finnland und Estland zerstörte, zur russischen „Schattenflotte“ gehört. Diese Flotte transportiert russisches Öl unter falscher Flagge, um westliche Sanktionen zu umgehen. Der Tanker soll die Kabel mit einem 100 Kilometer langen Anker-Schleifspuren auf dem Meeresboden durchtrennt haben.

Russland im Visier – aber keine direkten Beweise

Steckt der Kreml dahinter?

Viele Experten halten es für möglich, dass Russland im Rahmen eines hybriden Kriegs europäische Infrastruktur angreift, um Unruhe zu stiften. NATO-Chef Rutte warnte:
„Hybrid bedeutet Sabotage, Cyberangriffe – und in diesem Fall das gezielte Schädigen unserer Unterwasser-Infrastruktur.“

Doch es gibt keine eindeutigen Beweise. Westliche Geheimdienste äußern Zweifel, ob die Schäden wirklich gezielt herbeigeführt wurden. Einige der beschädigten Kabel gehören selbst Russland. Zudem gibt es Hinweise, dass alte Schiffe mit schlecht gewarteten Ankern für die meisten Schäden verantwortlich sein könnten.

Ein westlicher Geheimdienstmitarbeiter sagte der Nachrichtenagentur AP:
„Die Anker und Schiffsdaten deuten eher auf Unfälle als auf Sabotage hin.“

Allerdings hat Russland offenbar ein Spionageschiff zu einer der beschädigten Stellen geschickt – ob zur Untersuchung oder zur Vertuschung, bleibt offen.

Vorsicht ist geboten – aber keine Panik

Branchenexperten raten zur Gelassenheit. Die Europäische Unterseekabel-Vereinigung betonte, dass die meisten Schäden durch Fischerei oder Schiffsanker entstehen – nicht durch gezielte Angriffe.

Ein aktuelles Beispiel: Am Sonntag wurde ein maltesisches Frachtschiff vor Schweden gestoppt, nachdem es vermutlich ein Kabel gekappt hatte. Das bulgarische Unternehmen Navibulgar, dem das Schiff gehört, sprach von einem „unbeabsichtigten Vorfall bei schlechtem Wetter“.

„Baltic Sentry“ – Die Antwort der NATO

Unabhängig von der Ursache der Schäden verstärkt die NATO ihre Präsenz in der Ostsee. Die „Baltic Sentry“-Mission umfasst:

  • Marinepatrouillen mit Kriegsschiffen
  • Überwachungsflüge mit modernster Technik
  • Einsatz von Unterwasserdrohnen zur Kontrolle der Kabel

Ein französischer Luftwaffenoffizier erklärte:
„Wir beobachten langsam fahrende Schiffe oder Ankerplätze an ungewöhnlichen Stellen sehr genau.“

Fazit: Die Ostsee bleibt ein heißes Pflaster

Ob Sabotage oder maritime Unfälle – die Sicherheit der Unterwasserinfrastruktur ist zur Chefsache geworden. Die NATO setzt auf verstärkte Überwachung und Abschreckung.

Die zentrale Frage bleibt: Sind die Schäden an den Kabeln nur die Spitze des Eisbergs?

Von C. Hatty


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