Tag & Nacht




Die Sonne, das Meer, die weiße Insel – so kennt man Ibiza. Doch in den vergangenen Stunden war von Postkartenidylle keine Spur. Statt Sonnenuntergangsromantik erlebte die Baleareninsel ein Naturchaos: Wassermassen ergossen sich über Straßen und Plätze, Keller und Parkhäuser wurden zu Schwimmbecken, Tunnel verwandelten sich in gefährliche Fallen.

Das Unheil trägt einen Namen: Ex-Hurrikan „Gabrielle“. Sein Ausläufer hat die Insel heimgesucht und ein Unwetter entfesselt, das selbst erfahrene Meteorologen sprachlos zurückließ.


254 Liter in 24 Stunden – die nackten Zahlen des Ausnahmezustands

Manchmal sagt eine Zahl mehr als tausend Worte: 254 Millimeter Regen in nur 24 Stunden in Ibiza-Stadt. Zum Vergleich: Das ist mehr als ein Drittel dessen, was sonst in einem ganzen Jahr auf der Insel niedergeht. Am Flughafen waren es immerhin noch 174 Liter, und selbst die kleine Nachbarinsel Formentera meldete 109 Liter.

Solche Mengen sind nicht mehr bloß „starker Regen“. Sie überrollen die Insel wie eine Welle aus dem Himmel. Binnen Minuten waren Straßen überflutet, Bäume knickten wie Streichhölzer, Autos gerieten ins Schlingern. Manche Dörfer meldeten mehr als 100 Liter pro Quadratmeter in wenigen Stunden – Werte, die in Mitteleuropa eher als Jahrhundertregen durchgehen.


Wenn der Alltag zerbricht

Ein Unwetter dieser Wucht bedeutet nicht nur nasse Füße. Es lähmt das öffentliche Leben. Der Flughafen kämpfte mit Wassereinbrüchen im Terminal – Flüge verspäteten sich, manche wurden ganz gestrichen oder umgeleitet.

Gesundheitszentren standen teilweise unter Wasser, Praxen mussten schließen, geplante Behandlungen fielen aus. Die Notrufzentralen liefen heiß: 41 Unfälle bis acht Uhr morgens, verursacht durch Aquaplaning, blockierte Straßen oder umgestürzte Bäume.

Auch Schulen blieben geschlossen, Tunnel und Straßen wurden gesperrt. Eltern bekamen den dringenden Hinweis, ihre Kinder nicht abzuholen, um die ohnehin überlasteten Verkehrswege zu entlasten. Ein Alltag im Ausnahmezustand – und das mitten in einer Urlaubsregion, die sonst Millionen Besucher im Jahr willkommen heißt.

Alarmstufe Rot: Das offizielle Zeichen der Gefahr

Die spanische Wetterbehörde AEMET zog die Notbremse: Alarmstufe Rot, die höchste Warnstufe. Wer auf der Insel lebt oder Urlaub macht, weiß, dass dieses Signal ernst gemeint ist. Rot bedeutet: nicht mehr diskutieren, sondern handeln – raus aus Senken, Türen dichtmachen, auf das Dröhnen der Sirenen hören.

Noch Tage zuvor hatten die Meteorologen nur mit Starkregen gerechnet, Gelb war die Farbe der Wetterkarten. Doch Gabrielle hatte andere Pläne. Sie schob ihre Regenfront mit solcher Wucht in Richtung Balearen, dass binnen kürzester Zeit aus „Vorsicht“ bitterer Ernst wurde.

Die psychologische Wucht der Wassermassen

Es ist nicht nur die Nässe, die bleibt. Solche Ereignisse hinterlassen Spuren in Köpfen und Herzen. Wer sein Auto halb im Wasser stehen sah, wer in der Nacht die Sandsäcke vor die Haustür wuchtete, wer seine Kinder davon überzeugen musste, dass die Welt nicht untergeht – der trägt dieses Erlebnis weiter.

Viele Urlauber wurden unversehens von dem Unwetter überrascht. Statt Sonnencreme griff man zu Gummistiefeln. Statt Cocktails am Strand gab es Notfallpläne im Hotel.

Was sagt das über unser Klima?

Die Frage, die dabei immer im Hintergrund steht: Sind das noch Wetterkapriolen – oder bereits Vorboten eines neuen Klimazeitalters für den Mittelmeerraum?

Klimaforscher beobachten seit Jahren, dass Hurrikan-Ausläufer den Sprung von Amerika nach Europa schaffen. Das warme Wasser des Mittelmeers verstärkt ihre Energie, und was früher als „Sturm“ galt, kann heute binnen Stunden in ein Inferno aus Regen und Wind kippen.

Ibiza und die Nachbarinseln sind darauf nicht eingerichtet. Entwässerungssysteme sind auf sommerliche Platzregen ausgelegt, nicht auf sintflutartige Mengen von 200 Litern und mehr. Das macht sie verwundbar – und zwingt Politik wie Verwaltung, neue Antworten zu finden.

Ausblick: Die Sonne kehrt zurück – aber der Schaden bleibt

Die Wettermodelle versprechen für die kommenden Tage eine Verschnaufpause. Weniger Regen, mildere Temperaturen, ein Hauch von Normalität. Doch die Folgen verschwinden nicht so schnell. Überflutete Keller müssen trocknen, beschädigte Infrastruktur wird Monate brauchen.

Und über all dem bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Das Paradies ist verletzlich. Ein einziger Sturm hat genügt, um die Insel in Ausnahmezustand zu versetzen.

Wer jetzt noch denkt, Wetter sei bloß ein Smalltalk-Thema – der war nicht in dieser Nacht auf Ibiza.

Autor: C.H.

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