Ein Berg. Eine Lawine. Ein Unwetter. Und am Ende: neun Leben ausgelöscht – unter ihnen ein Franzose, fünf Italiener, ein Deutscher und zwei nepalesische Begleiter. Was sich in den letzten Tagen im Himalaya abgespielt hat, klingt wie das Drehbuch eines Katastrophenfilms. Doch es ist brutale Realität.
Zwei Unglücke, ein Schicksal
Seit Freitag vergangener Woche wurde das Wetter in Nepals Hochgebirge zunehmend unberechenbar. Der erste Vorfall ereignete sich am Montagmorgen am Yalung Ri, einem 5.630 Meter hohen Gipfel im Osten des Landes. Dort befand sich ein internationales Team von Alpinisten in einem Basislager – als eine Lawine über das Camp hereinbrach.
Zwölf Menschen wurden von der Schneemasse mitgerissen.
Sieben von ihnen überlebten nicht. Darunter: drei Italiener, ein Deutscher, ein Franzose sowie zwei nepalesische Teammitglieder. Die übrigen fünf – darunter zwei Franzosen – konnten am Dienstagmorgen lebend geborgen werden. Über ihren Zustand ist bislang nur wenig bekannt, doch laut Polizei sind sie in Sicherheit.
Und als wäre das nicht genug, kam es fast zeitgleich zu einem zweiten Unglück im Westen des Landes. Auch hier war es das Wetter, das mit tödlicher Wucht zuschlug: Schneestürme überraschten eine Dreiergruppe italienischer Alpinisten beim Aufstieg auf den 6.905 Meter hohen Panbari. Stefano Farronato und Alessandro Caputo überlebten nicht. Der Expeditionsleiter, der sich noch im Basislager befand, konnte am Sonntag per Hubschrauber gerettet werden.
Die tödliche Stille nach dem Sturm
Phurba Tenjing Sherpa, Expeditionsleiter und Mitarbeiter der Agentur „Dreamers Destination“, war einer der ersten am Yalung Ri vor Ort. „Ich habe die sieben Leichen mit eigenen Augen gesehen“, sagte er. Seine Agentur hatte für drei der Verunglückten die Tour organisiert. Am Dienstag liefen die Bergungsarbeiten – mühsam, in extremer Höhe, bei unsicherem Wetter.
Wer je in den Höhenlagen des Himalayas unterwegs war, weiß: Die Ruhe trügt. Selbst der klarste Himmel kann binnen Minuten in tobendes Weiß übergehen. Und wenn eine Lawine ins Rollen kommt, gibt es meist kein Entkommen. Im Schneetreiben verschwimmen Orientierung, Geräusche, Zeitgefühl. Der Berg wird zur Falle.
Die Frage, die immer wieder bleibt: Hätte man es verhindern können?
Alpiner Alltag zwischen Wagnis und Wahnsinn
Der Himalaya zieht jährlich tausende Abenteuerlustige an. Profis, Hobbybergsteiger, spirituell Suchende. Viele unterschätzen die Gefahren – oder nehmen sie bewusst in Kauf. Zwischen 5.000 und 7.000 Metern wird die Luft dünn, der Körper kämpft gegen Höhenkrankheit, Erfrierungen, Erschöpfung. Ein Sturm oder eine Lawine ist dann nicht nur ein Naturereignis – sondern ein Todesurteil.
Besonders im Herbst und Frühling – den klassischen Klettersaisons – ist der Andrang groß. Die nepalesischen Behörden erteilen Expeditionserlaubnisse, Agenturen organisieren Touren, Sherpas sichern die Routen. Alles wirkt professionell – bis das Wetter umschlägt. Dann offenbart sich die gnadenlose Wahrheit des Berges: Er folgt keiner Regel. Keinem Kalender. Und er verzeiht keine Fehler.
Was diesen Fall besonders tragisch macht: Die meisten der Opfer waren erfahrene Bergsteiger. Sie wussten, worauf sie sich einlassen. Sie waren vorbereitet. Doch selbst das reicht nicht immer.
Die stille Größe des Verlusts
Für die Angehörigen ist der Himalaya nun nicht mehr das Dach der Welt, sondern ein Grab aus Eis. Fernab von zu Hause, oft unter schwierigen Bedingungen geborgen, überführt, betrauert. Es ist ein Schmerz, der weit über die Alpinisten-Community hinausgeht. Denn jeder Bergsteiger stirbt nicht nur als Individuum – sondern als Teil eines kollektiven Traums, der im weißen Nichts endet.
Was bleibt, ist Trauer – und die Erinnerung daran, wie schmal der Grat zwischen Abenteuer und Albtraum im Hochgebirge ist.
Wird es Konsequenzen geben? Neue Sicherheitsstandards? Weniger Lizenzen? Mehr Aufklärung? Oder bleibt alles beim Alten – bis zur nächsten Lawine?
Autor: Daniel Ivers
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