Er war einer der prominentesten außenpolitischen Hardliner der USA, dann einer der schärfsten Kritiker Trumps – nun steht John R. Bolton selbst im Zentrum eines der brisantesten Justizfälle der letzten Jahre. Der ehemalige Nationale Sicherheitsberater wurde am 16. Oktober 2025 von einer Grand Jury im Bundesstaat Maryland wegen 18 Straftatbeständen angeklagt. Es geht um die mutmaßliche Weitergabe und unrechtmäßige Aufbewahrung hochsensibler Informationen zur nationalen Verteidigung. Und die politischen und institutionellen Erschütterungen, die dieser Fall auslösen könnte, reichen weit über Bolton hinaus.
Das Protokoll der Anklage
Die Liste der Vorwürfe liest sich wie ein Spionageroman: acht Fälle des Verrats von Informationen zur nationalen Verteidigung, zehn weitere wegen unrechtmäßiger Aufbewahrung solcher Daten. Der Zeitraum der mutmaßlichen Taten erstreckt sich von April 2018 bis August 2025 – deutlich über Boltons offizielle Amtszeit als Nationaler Sicherheitsberater hinaus.
Der Modus Operandi? Laut Anklageschrift soll Bolton regelmäßig geheime Informationen in tagebuchartigen Notizen festgehalten und diese über private E-Mail-Konten und Messaging-Apps mit zwei Familienangehörigen geteilt haben. Besonders brisant: Die Materialien sollen unter anderem streng vertrauliche Details über Geheimdienstquellen, geplante Operationen, Raketenprogramme und Kontakte mit ausländischen Regierungen enthalten.
Auch physisch lagerte Bolton klassifizierte Dokumente offenbar an Orten, die dafür nie vorgesehen waren – darunter sein privates Haus in Maryland sowie sein Büro in Washington, D.C. In einer Zeit, in der Datensicherheit und Spionageabwehr oberste Priorität genießen, wirkt das wie ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Praktiken.
Bolton verteidigt sich – mit scharfen Worten
Der 76-jährige Bolton weist alle Vorwürfe kategorisch zurück. In einer ersten Stellungnahme sprach er von einer „politisch motivierten Aktion“, die darauf abziele, unliebsame Kritiker mundtot zu machen. Seine Anwälte argumentieren, viele der angeblich geheimen Informationen seien entweder nicht als solche klassifiziert gewesen – oder dem FBI bereits bekannt gewesen.
Diese Verteidigungslinie erinnert nicht zufällig an ähnliche Fälle der letzten Jahre. Doch hier geht es nicht nur um Bolton als Einzelperson, sondern um etwas Grundsätzlicheres: das Verhältnis zwischen Macht, Geheimhaltung und Verantwortung im Herzen der amerikanischen Exekutive.
Was steht auf dem Spiel?
Für jeden der 18 Anklagepunkte droht Bolton eine Höchststrafe von bis zu zehn Jahren Haft. Theoretisch. Ob es jemals zu einem tatsächlichen Gerichtsprozess kommt – und falls ja, wann – ist jedoch offen. Verfahren dieser Art sind juristisch extrem komplex. Sie betreffen Dokumente, deren bloße Existenz oft als geheim eingestuft wird. Aussagen, Beweismittel, selbst die Terminplanung – vieles könnte unter Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt werden. Klassifizierte Schriftsätze, nicht-öffentliche Anhörungen, juristische Winkelzüge: All das gehört in solchen Fällen zum Alltag.
Aber warum gerade jetzt? Warum Bolton?
Der größere Kontext: Trump, Geheimdienst, Justiz
Ein Blick auf die politische Großwetterlage lohnt sich. Denn Boltons Fall ist kein isoliertes Ereignis. Er reiht sich ein in eine wachsende Liste von Verfahren gegen Personen, die entweder eng mit Donald Trump verbunden waren – oder sich später öffentlich gegen ihn wandten. Der frühere FBI-Direktor James Comey, die New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James, nun auch Trumps ehemaliger Sicherheitsberater: Die Liste prominenter Zielpersonen wird länger.
Was den Fall Bolton besonders macht: Die Anklage wurde offenbar nicht von politischen Beamten initiiert, sondern von erfahrenen Sicherheitsstaatsanwälten – ein Indiz dafür, dass hier nicht parteipolitisches Kalkül, sondern institutionelle Standards den Ton angeben. Doch ob das reicht, um in der aufgeheizten politischen Atmosphäre der USA Vertrauen in die Integrität des Verfahrens zu schaffen?
Justiz als Machtinstrument?
Es ist ein gefährlicher Balanceakt: Auf der einen Seite das legitime Interesse des Staates, auch hochrangige Ex-Beamte bei Verstößen zur Rechenschaft zu ziehen. Auf der anderen Seite die politische Realität, in der jeder Schritt sofort parteipolitisch ausgelegt wird. Für Bolton – und nicht nur für ihn – ist klar: Die Anklage ist auch ein Kampf um politische Deutungshoheit.
Die Debatte um die korrekte Handhabung klassifizierter Dokumente hat in den USA seit Jahren an Schärfe gewonnen. Vor allem im Kontext der Ermittlungen gegen Donald Trump wegen ähnlicher Vorwürfe ist die Symbolkraft dieses Verfahrens kaum zu überschätzen. Was Bolton vorgeworfen wird, ähnelt in Struktur und Dimension dem, was auch Trump angelastet wird – nur ohne dass Bolton im Gegensatz zu Trump versucht hätte, Dokumente aktiv zu verbergen oder Ermittlungen zu behindern.
Eine offene Frage bleibt
Was wiegt schwerer: die Pflicht zur Wahrung nationaler Geheimnisse – oder die Pflicht zur politischen Unabhängigkeit der Justiz?
Diese Frage steht unausgesprochen im Raum, bei jedem Schritt dieses Verfahrens. Und die Antwort darauf wird mitbestimmen, wie die USA in Zukunft mit den eigenen Regeln umgehen – und mit jenen, die sie einst geschaffen haben.
Von C. Hatty
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