Tag & Nacht


Nach monatelangen Spannungen deutet sich eine Einigung im Zollstreit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten an. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sprach in Berlin von bevorstehenden Entscheidungen, während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die enge Abstimmung innerhalb Europas und mit der EU-Kommission betonte. Im Raum steht ein weitreichendes Handelsabkommen – entstanden unter massivem Zeitdruck.

Die jüngste Annäherung ist vor allem Ausdruck eines sich zuspitzenden Machtspiels: Die USA unter Präsident Donald Trump haben der EU ein Ultimatum gesetzt. Sollte bis zum 1. August keine Einigung erzielt werden, drohen pauschale Strafzölle auf Importe aus Europa – bis zu 30 Prozent für zentrale Güter wie Automobile. Brüssel zeigt sich verhandlungsbereit, aber nicht erpressbar. Ein Gegenzollpaket mit einem Volumen von rund 93 Milliarden Euro liegt bereit – zur Aktivierung ab dem 7. August.

Die Angst vor einer Eskalation

Der wirtschaftspolitische Konflikt hat bereits Spuren hinterlassen. Besonders betroffen wäre die europäische Automobilbranche – ein Sektor mit hoher Exportabhängigkeit, strategischer Relevanz und politischem Gewicht, vor allem in Deutschland. Schon jetzt beobachten Unternehmen und Investoren die Entwicklung mit wachsender Nervosität. Die Aussicht auf neue Handelshemmnisse trifft auf ein ohnehin fragiles konjunkturelles Umfeld in Europa.

Der politische Druck ist entsprechend hoch. Bundeskanzler Merz und Präsident Macron zeigten bei ihrem Treffen in Berlin demonstrative Einigkeit. Die EU, so Macron, wolle zwar die „niedrigstmöglichen Zölle“, verlange aber gleichzeitig Respekt als gleichwertiger Partner. Dahinter steht mehr als ökonomisches Kalkül: Es geht um die geopolitische Selbstbehauptung Europas in einem von wachsender Unilateralität geprägten internationalen Handelssystem.

Konturen des möglichen Abkommens

Laut Verhandlungskreisen zeichnet sich ein Kompromiss ab: Ein reziproker Zollsatz von 15 Prozent auf europäische Exporte in die USA steht im Raum. Damit würde die EU einen Großteil der angedrohten Strafmaßnahmen abwenden, ohne die Konfrontation vollständig zu vermeiden. Ausgenommen wären wohl bestimmte Schlüsselbranchen, etwa der Flugzeugbau oder der Medizinsektor. Auch bei Spirituosen oder digitalen Produkten könnten Sonderregelungen greifen.

Für die Autoindustrie wäre dieser Schritt zwiespältig. Einerseits würde der geplante 15-Prozent-Tarif deutlich unter den maximal angedrohten 30 Prozent liegen. Andererseits läge er klar über dem bisherigen Status quo. Die Bundesregierung drängt daher darauf, für besonders betroffene Industriezweige Übergangsregelungen zu verhandeln. Ziel sei eine „faire Lastenverteilung“, heißt es aus Regierungskreisen.

Die neue Außenhandelspolitik der EU

Der aktuelle Konflikt zeigt die Grenzen klassischer Freihandelsrhetorik. Die EU befindet sich in einem strategischen Umbruch: Statt auf unbegrenzte Marktöffnung setzt Brüssel zunehmend auf „resiliente Handelsbeziehungen“. In der Praxis bedeutet das eine flexiblere, robustere Ausgestaltung internationaler Wirtschaftsverträge – mit Sanktionsmechanismen, Sicherheitsklauseln und industriepolitischen Schutzinstrumenten.

Bereits vor dem aktuellen Streit hatte die EU ihr sogenanntes „Anti-Coercion Instrument“ aktiviert – ein Werkzeug, mit dem künftig asymmetrischer ökonomischer Druck von außen beantwortet werden kann. Damit signalisiert Brüssel: Handelsfragen sind nicht mehr nur eine Sache der Ökonomie, sondern ein Teil der strategischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Verhandlungen mit den USA sind daher mehr als nur ein Streit um Zollsätze. Sie sind Testfall für die außenpolitische Handlungsfähigkeit Europas, das sich in einer Welt zwischen chinesischem Staatskapitalismus und amerikanischem Wirtschaftsnationalismus behaupten muss. Eine Einigung wäre ein diplomatischer Teilerfolg – und würde wertvolle Zeit gewinnen, um die eigene industriepolitische Position zu konsolidieren.

Die nächsten Tage dürften entscheidend sein. Die Uhr tickt – in Washington, Brüssel, Paris und Berlin zugleich.

Autor: Andreas M. Brucker

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