Donald Trump hat es wieder getan. Ein Auftritt im Weißen Haus, ein großer Satz – und die Schlagzeilen rollen. Diesmal erklärte der US-Präsident, das gängige Schmerzmittel Tylenol, in Europa als Paracetamol bekannt, könne Autismus begünstigen. Schwangere sollten die Finger davon lassen, warnte er, flankiert von Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. und TV-Arzt Mehmet Oz. Die Fachwelt reagierte mit klarer Ablehnung: Für Trumps Behauptung gibt es schlicht keine wissenschaftliche Grundlage.
Zwischen Statistik und Ursache
Paracetamol ist seit Jahrzehnten eines der am besten untersuchten Medikamente. Ja, es gibt Studien, die Auffälligkeiten zeigen – etwa einen möglichen Zusammenhang zwischen häufiger Einnahme in der Schwangerschaft und Entwicklungsstörungen bei Kindern. Doch Statistik ist kein Beweis. Wer Ursache und Wirkung verwechselt, tappt schnell in eine Falle: Wurde Paracetamol genommen, weil bereits ein Risiko vorlag, oder erzeugte das Medikament selbst das Problem?
Genau diesen Unterschied betonen Experten derzeit unisono. Ohne kontrollierte klinische Studien bleibt die Datenlage zu dünn. Doch solche Studien wären in diesem Fall ethisch kaum machbar – niemand würde Schwangere gezielt zufällig Paracetamol oder Placebos verabreichen, nur um später die Auswirkungen auf ihre Kinder zu messen. Also bleibt es bei Korrelationen, Hypothesen und vielen „Vielleichts“.
Politik im weißen Kittel
Dass Trump ausgerechnet mit RFK Jr. auftrat, ist mehr als Symbolik. Kennedy hat seit Jahren die Impf-Autismus-Debatte am Kochen gehalten, obwohl die These längst widerlegt ist. Nun erlebt dieses Denkmuster ein Revival: Wo harte Fakten fehlen, springt die politische Inszenierung ein. Trump griff sogar auf bizarre Vergleiche zurück – etwa, bei den Amish gebe es keinen Autismus. Seriöse Daten dazu? Fehlanzeige. Aber für die Dramaturgie reichte es allemal.
Leucovorin: Hoffnung oder Hype?
Parallel dazu präsentierte die Regierung ein Medikament als Lichtblick: Leucovorin. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat es gerade für eine sehr spezielle Erkrankung zugelassen – die „cerebrale Folat-Defizienz“. Manche Betroffene zeigen autismusähnliche Symptome, und kleine Studien deuten positive Effekte an. Doch das bedeutet nicht, dass Leucovorin nun eine allgemeine Therapie gegen Autismus sei. Wer es so verkauft, biegt die wissenschaftliche Wirklichkeit zurecht.
Vor Gericht gescheitert
Auch juristisch hat die Tylenol-These bisher keinen Bestand. In den Jahren 2023 und 2024 scheiterten Sammelklagen, weil die Gutachten der Kläger die Beweisanforderungen nicht erfüllten. Die sogenannte Daubert-Regel setzte hier eine klare Grenze: Ohne solide wissenschaftliche Basis kein Erfolg vor Gericht. Während also Richter und Experten bremsen, drückt die Politik rhetorisch aufs Gas.
Risiko für Vertrauen und Versorgung
Warum ist das problematisch? Erstens, weil Gesundheitspolitik vom Vertrauen lebt. Schwangeren wird seit Jahren geraten: Paracetamol in der niedrigsten wirksamen Dosis und nur so lange wie nötig – nach Rücksprache mit dem Arzt. Denn Alternativen wie Ibuprofen können im letzten Drittel der Schwangerschaft deutlich gefährlicher sein. Wenn Politiker dieses Gleichgewicht ins Wanken bringen, droht das Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist: mehr Unsicherheit, mehr Risiko.
Zweitens verschärfen solche Auftritte die gesellschaftliche Polarisierung. Wer Autismus zur politischen Projektionsfläche macht, mobilisiert zwar die eigene Anhängerschaft, lässt aber Familien mit betroffenen Kindern ratlos zurück. Sie brauchen handfeste Unterstützung – nicht symbolische Kämpfe gegen alltägliche Medikamente.
Drittens wirkt die Debatte über den Atlantik hinaus. In Europa tauchen US-Mythen oft in abgeschwächter Form wieder auf, verstärkt durch Schlagzeilen und Social Media. Schon jetzt berichten Ärzte und Apotheker, dass schwangere Frauen verunsichert nachfragen: „Darf ich das überhaupt noch nehmen?“ – eine verständliche Sorge, die nicht mit Wahlkampfparolen beantwortet werden darf.
Fazit: Einfache Antworten auf komplexe Fragen?
Trumps Tylenol-These ist weniger ein medizinischer Befund als ein politisches Narrativ. Sie bedient das Bedürfnis nach klaren Erklärungen und schnellen Lösungen. Doch Autismus ist ein Spektrum – komplex, vielfältig, und sicher nicht auf ein einziges Schmerzmittel zurückzuführen.
Pragmatisch bedeutet das:
- Schwangere sollten Beschwerden nicht aus Angst verdrängen, sondern ärztlich besprechen. Paracetamol bleibt nach wie vor ein Mittel der Wahl – in Maßen.
- Eltern von autistischen Kindern dürfen Leucovorin aufmerksam verfolgen, sollten aber die Studienlage kritisch betrachten.
- Politik und Medien tun gut daran, die Komplexität nicht zu verkürzen. Denn einfache Antworten mögen gut klingen, sind aber selten wahr.
Am Ende bleibt eine unbequeme Wahrheit: Wissenschaft braucht Zeit, Zweifel und oft auch Widersprüche. Politik aber lebt von vermeintlicher Klarheit und Zuspitzung. Wenn beides aufeinanderprallt, entsteht genau das, was wir jetzt sehen – eine hitzige Debatte um ein Schmerzmittel, das Millionen Menschen seit Jahrzehnten zuverlässig begleitet.
Autor: C.H.
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