Wenn die eigene DNA plötzlich in den Händen Unbekannter landen könnte – dann ist Alarmstufe Rot angesagt. Genau das passiert gerade mit den Daten von mehr als 15 Millionen Menschen weltweit, nachdem das US-Unternehmen 23andMe Insolvenz angemeldet hat.
Ein Schock, nicht nur für Datenschützer.
23andMe war einst der Superstar unter den Anbietern von Heimtests zur genetischen Abstammung. Mit einem simplen Röhrchen, gefüllt mit Speichel, konnte jeder etwas über seine ethnischen Wurzeln, Verwandtschaftsverhältnisse oder genetischen Merkmale erfahren. Klingt faszinierend – und war für viele auch ein unterhaltsames Abenteuer.
Doch der Spaß hat einen Haken. Oder besser gesagt: gleich mehrere.
Denn was mit diesen sensiblen Informationen passiert, war von Anfang an ein kritischer Punkt. Schon 2023 hatte ein massiver Datenklau bei 23andMe für Schlagzeilen gesorgt. Sieben Millionen DNA-Profile wurden gestohlen, samt Namen, Geburtsjahren, Fotos, Wohnorten und Gesundheitsdaten. Diese Panne war kein kleines technisches Versehen – sie war ein digitales Erdbeben.
Jetzt, mit dem drohenden Verkauf der Firma, steht eine noch größere Frage im Raum: Was passiert mit all diesen genetischen Schätzen, wenn sie zum Spielball auf dem Datenmarkt werden?
In den USA überschlagen sich derzeit die Warnungen. Der Generalstaatsanwalt von Kalifornien rät zur sofortigen Löschung der persönlichen Daten – und liefert gleich die Anleitung dazu. Auch große Medien wie die New York Times ziehen nach. Und es ist kein Zufall, dass Datenschutzbehörden wie die französische Cnil ebenfalls Alarm schlagen.
Denn was viele vergessen: Wer seine DNA preisgibt, gibt auch einen Teil seiner Familie preis. Die genetische Signatur betrifft nicht nur den Absender der Probe, sondern auch Geschwister, Kinder, Eltern – ja, ganze Stammbäume.
Und das Risiko ist real.
Ein Szenario: Die Daten gelangen in die Hände einer Versicherungsgesellschaft. Plötzlich spielt dein Erbgut eine Rolle bei der Frage, ob du einen Kredit bekommst oder wie viel du für eine Versicherung zahlen sollst. Oder schlimmer – dein Arbeitgeber erhält Zugriff auf Informationen, die du selbst nicht mal wusstest.
„Die Leute denken, sie erhalten einfach einen lustigen Abstammungsbericht“, erklärt Hélène Guimiot von der Cnil. „Aber eigentlich geht es darum, genetische Daten zu sammeln – und zwar im großen Stil.“
Was viele nicht wissen: Laut AGB von 23andMe dürfen die gesammelten Daten bereits jetzt mit Drittanbietern geteilt werden. Pharmaunternehmen gehören zu den offiziellen Partnern. Doch was, wenn beim Verkauf der Firma auch die Rechte an diesen Daten mitübergehen? Gibt es dann überhaupt noch eine Grenze?
Natürlich bemüht sich 23andMe um Schadensbegrenzung. Man verspreche Datenschutz und Transparenz, heißt es in einem Statement. Aber bei einem Unternehmen, das bereits einen gigantischen Hack hinter sich hat, klingt das eher nach PR als nach verlässlicher Wahrheit.
Und hier kommt der entscheidende Punkt: Niemand ist gezwungen, seine Daten auf der Plattform zu belassen. Wer einmal seinen Speichel eingeschickt hat, kann – und sollte – die Löschung seiner Daten fordern. Und zwar jetzt, bevor ein möglicher Käufer ganz andere Pläne damit verfolgt.
Es geht um digitale Selbstverteidigung.
Denn bei aller Faszination für Ahnenforschung und genetische Neugier: Die Risiken wiegen schwerer als der Erkenntnisgewinn. Und während der Heimtest längst vergessen ist, bleibt der digitale Fingerabdruck bestehen – womöglich für immer.
Und was ist mit den Menschen in Frankreich, wo solche Tests seit 2023 verboten sind? Viele haben ihre Proben bereits vorher eingeschickt. Auch für sie gilt: Jetzt löschen, bevor es zu spät ist. Denn ein einmal geöffnetes DNA-Tor lässt sich nicht so einfach wieder schließen.
Wer also glaubt, er habe „nur mal schnell“ einen harmlosen Test gemacht, sollte dringend überdenken, welchen Preis er damit tatsächlich bezahlt hat. DNA ist keine Spielerei – sie ist die persönlichste Information, die ein Mensch besitzen kann.
Und die gehört nicht in eine digitale Lotterie.
Von C. Hatty
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