Tag & Nacht




Stell dir einen Ort vor, an dem die Luft klar ist, das Licht durch ein dichtes Blätterdach tanzt und die Welt für einen Moment stillzustehen scheint. Ein Ort, an dem Bäume Geschichten erzählen, die älter sind als alle, die wir je gehört haben. Genau das feiern wir am 21. März – dem Internationalen Tag des Waldes. Doch was steckt hinter diesem Tag? Und warum lohnt es sich, gerade Deutschland und Frankreich einmal genauer anzusehen?


Wälder – mehr als nur grüne Kulisse

Der Wald ist nicht einfach nur ein schöner Hintergrund für Spaziergänge oder Picknicks. Er ist ein hochkomplexes Ökosystem, das wie ein still arbeitendes Uhrwerk funktioniert. Wälder speichern CO₂, filtern Wasser, bieten Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten und liefern Holz für Bau, Energie und Papier.

Doch all das ist zunehmend bedroht – durch Klimawandel, Abholzung, Versiegelung, Krankheiten und Monokulturen. Das macht diesen internationalen Gedenktag nicht zu einer romantischen Rückbesinnung, sondern zu einem Weckruf. Zeit, etwas genauer hinzuschauen, wie unterschiedlich – und doch auch ähnlich – zwei waldreiche Länder wie Deutschland und Frankreich mit ihrem grünen Erbe umgehen.


Deutschlands Wälder: Zwischen Wirtschaftswald und Wildnis

Deutschland ist ein echtes Waldland: Ein Drittel der Landesfläche ist bewaldet – rund 11,4 Millionen Hektar. Eichen, Buchen, Fichten und Kiefern prägen das Bild, je nach Region in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Der Wald ist hier eng mit der Geschichte und Identität des Landes verknüpft. Wer denkt bei deutschen Wäldern nicht sofort an Märchen, Romantik und dunkle Tannen?

Aber die Realität sieht differenzierter aus.

Ein Großteil der deutschen Wälder wird wirtschaftlich genutzt. Rund die Hälfte gehört privaten Eigentümer*innen, oft in kleinen Parzellen. Das bringt Herausforderungen mit sich, etwa wenn es um naturnahe Bewirtschaftung oder Aufforstung geht. Besonders die letzten Jahre mit Dürresommern, Borkenkäferplagen und Sturmschäden haben viele Wälder schwer mitgenommen. Mancherorts ähneln die einstigen Wälder heute eher einer Trümmerlandschaft.

Und dennoch: Es gibt Hoffnung. Immer mehr Forstbetriebe stellen auf Mischwälder um. Kommunale und staatliche Wälder werden zunehmend als Klimawälder gedacht. Wälder, die nicht nur Holz liefern sollen, sondern auch Kohlenstoff binden, Wasser speichern, Lebensraum sein dürfen. Ein Perspektivwechsel bahnt sich an.


Frankreichs Wälder: Zwischen Staatsbesitz und Bürgernähe

Frankreich – oft assoziiert mit Lavendelfeldern, Weinbergen und der Côte d’Azur – hat ebenfalls einen beeindruckenden Waldreichtum. Rund 17 Millionen Hektar Wald bedecken knapp ein Drittel des Landes. Damit ist Frankreich nach Schweden und Finnland eines der waldreichsten Länder Europas.

Doch es gibt Unterschiede: In Frankreich ist ein großer Teil des Waldes in Staatsbesitz. Das erlaubt langfristige Planung und macht die Koordination von Schutzmaßnahmen einfacher. Das staatliche Forstamt, das „Office national des forêts“ (ONF), ist nicht nur Verwalter, sondern auch Vermittler: Es organisiert Führungen, Bildungsprojekte und Schutzkampagnen – besonders rund um den Internationalen Tag des Waldes.

Die französischen Wälder sind geprägt von großer Vielfalt. Vom dichten, moosbedeckten Buchenwald im Jura über Pinienwälder in der Gascogne bis zum mediterranen Macchia-Gestrüpp im Süden. Auch hier hinterlassen Klimakrise und Urbanisierung ihre Spuren – besonders die Waldbrände im Süden nehmen zu.

Doch Frankreich zeigt auch: Ein aktiver Dialog zwischen Staat, Bürger*innen und Wissenschaft kann Früchte tragen. Projekte wie „Forêts en Scène“, eine Aktionswoche mit rund 200 Veranstaltungen im ganzen Land, laden Kinder, Erwachsene und Entscheidungsträger gleichermaßen ein, den Wald neu zu entdecken.


Der Wald als Spiegel gesellschaftlicher Herausforderungen

Was sagt der Zustand unserer Wälder über uns als Gesellschaft aus? Eine ganze Menge. Denn Wälder sind nicht nur biologische Systeme – sie sind auch soziale Räume. Sie zeigen uns, wie wir mit Ressourcen umgehen, wie wir Verantwortung verteilen und wie wir über Generationen hinweg denken.

In beiden Ländern zeigt sich: Es reicht nicht mehr, Wälder nur zu bewahren. Wir müssen sie aktiv gestalten – klimaresilient, biodivers, sozial gerecht. Und das ist keine triviale Aufgabe. Wer soll das bezahlen? Wer entscheidet, welche Baumarten gesetzt werden? Und wem gehört eigentlich der Wald der Zukunft?

Gerade in Zeiten wachsender Ungleichheiten ist es entscheidend, dass Waldpolitik auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit mitdenkt. Nicht alle Menschen haben denselben Zugang zum Wald. In urbanen Räumen fehlt er oft ganz, auf dem Land werden Privatwälder manchmal eingezäunt oder schlicht vernachlässigt. Anpassungsstrategien an den Klimawandel – wie z.B. Stadtwälder oder urbane Grünräume – können auch Brücken schlagen zwischen Umwelt- und Sozialpolitik.


Der Tag des Waldes: Mehr als Symbolik

Der Internationale Tag des Waldes ist nicht einfach ein PR-Event. Er ist ein Moment der Reflexion – und der Aktion. In Deutschland laden zahlreiche Organisationen zum Mitmachen ein: beim Müllsammeln, bei Pflanzaktionen, bei Waldspaziergängen mit Förster*innen. In Frankreich öffnen Forstämter ihre Tore, Schulen unternehmen Exkursionen, es wird diskutiert, gespielt, gelernt.

Und das Schöne: Es bleibt nicht beim einmaligen Event. Viele Initiativen wirken über den 21. März hinaus. Sie vernetzen Menschen, die sich für ihre lokalen Wälder einsetzen. Sie regen politische Debatten an. Und manchmal – ganz nebenbei – schaffen sie genau das, was wir so dringend brauchen: neue Geschichten über den Wald. Geschichten der Hoffnung, der Verantwortung, des Miteinanders.


Wälder als Labor der Zukunft

Die Zukunft des Waldes ist offen – aber sie ist machbar. Mit Hilfe von Technologie, präziser Satellitendaten und besserer Vernetzung können wir heute den Zustand der Wälder schneller erkennen, Risiken früher einschätzen und gezielter reagieren. Aber ohne Herzblut, ohne gesellschaftliches Engagement, ohne politisches Rückgrat – bringt all das nichts.

Was wäre, wenn Schulen in ganz Europa eigene „Klimawälder“ pflegen würden? Wenn Städte Waldpatenschaften mit ländlichen Regionen eingehen? Wenn jedes Kind einmal im Jahr im Wald unterrichtet würde? Utopisch? Vielleicht. Aber auch inspirierend.


Und jetzt?

Vielleicht ist dieser 21. März ja die Gelegenheit, mal wieder in den Wald zu gehen. Nicht nur, um durchzuatmen – sondern um zuzuhören. Was flüstert der Wind durch die Bäume? Was erzählen die abgestorbenen Äste über vergangene Dürren? Und was sagt dein Herz dazu?

Der Wald spricht. Zeit, ihm zuzuhören.

Andreas M. Brucker

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