Tag & Nacht


Es beginnt oft harmlos. Regen, der gegen die Scheiben trommelt, dunkle Wolken über dem Mittelmeer, ein dumpfes Grollen in der Ferne. Doch was sich seit Donnerstag über Teilen Südfrankreichs entlädt, trägt längst andere Züge. In der Nacht auf Freitag ist in Saint-Florent, einer kleinen korsischen Hafenstadt westlich von Bastia, ein Straßenbauwerk teilweise eingestürzt. Eine Brücke, die den Ortskern mit Oletta verbindet, hat dem Druck der Wassermassen nicht standgehalten. Verletzt wurde niemand.

Die Brücke über die Départementstraße RD81 wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Kein monumentales Bauwerk, kein touristisches Postkartenmotiv. Und doch ist sie eine Lebensader. Pendler, Lieferverkehr, Schulbusse – sie alle nutzen diesen Übergang. Seit Donnerstag steht der gesamte Bezirk Haute-Corse unter Wetterwarnstufe Orange wegen Starkregen und Hochwasser. Regen, der nicht fällt, sondern stürzt. Regen, der Böden sättigt, Flüsse anschwellen lässt und selbst robuste Infrastruktur mürbe macht.

Die Einsatzkräfte arbeiten im Akkord. Rund fünfzig Einsätze verzeichnet der Straßendienst, fast vierzig die Feuerwehr. Erdrutsche, überschwemmte Fahrbahnen, blockierte Zufahrten. Die Niederschlagsmengen sprengen statistische Gewohnheiten: Zwischen eineinhalb- und viermal so viel Regen wie im Dezember des Vorjahres ist gefallen. Zahlen, die trocken klingen, in der Realität aber nach Schlamm riechen und nach Öl aus Heizungen, das sich auf überschwemmten Straßen ausbreitet.

Während Korsika versucht, den Schaden zu begrenzen, spielt sich auf dem Festland ein ähnliches Szenario ab. In den Pyrénées-Orientales, ebenfalls unter Warnstufe Orange, sind binnen weniger Stunden mehr als einhundert Liter Regen niedergegangen. Ein ganzer Monat, zusammengedrängt in einen einzigen Tag. Die Flüsse Agly und Réart führen Hochwasser, die Pegel steigen schneller, als mancher Anwohner reagieren kann. Die Prognosen für die kommenden 24 Stunden lesen sich wie ein Déjà-vu: weitere fünfzig bis achtzig Liter in den Binnenlagen.



Man spürt in diesen Regionen eine Mischung aus Routine und Erschöpfung. Die Feuerwehr zählt bislang 53 Einsätze. Keller laufen voll, Straßen verwandeln sich in Bäche, Kliniken sichern ihre Technik. In Théza stehen die Untergeschosse einer Klinik unter Wasser, die Lage sei stabil, wie es in der nüchternen Sprache der Behörden heißt. Zwei Menschen werden aus einem Campingplatz nahe Saint-Nazaire evakuiert, vorsorglich, bevor aus Risiko Gewissheit wird. Mehrere Départementstraßen sind gesperrt. Namen und Nummern, die für Außenstehende abstrakt bleiben, für die Bewohner jedoch den Unterschied zwischen Umweg und Isolation bedeuten.

Und dann ist da noch der Faktor Mensch. In Pollestres, einer Gemeinde südlich von Perpignan, verliert der Bürgermeister die Geduld. Mehrfach müssen er und seine Gemeinderäte Autofahrer stoppen, die trotz Absperrungen versuchen, über geflutete Furten zu fahren. „Es kann hier schreckliche Tragödien geben“, sagt er. Ein Satz, der hängen bleibt. Weil er an eine unbequeme Wahrheit erinnert: Naturkatastrophen töten selten allein. Es sind oft Leichtsinn, Gewohnheit oder der Gedanke „Das schaffe ich schon“, die aus Gefahr Drama machen. Klartext aus dem Rathaus, ein emotionaler Ausbruch – absolut nachvollziehbar.

Solche Wetterlagen treffen Frankreich nicht unvorbereitet. Warnsysteme funktionieren, Einsatzkräfte sind erfahren, die Kommunikation läuft. Und doch zeigt jeder Starkregen aufs Neue, wie fragil selbst gut organisierte Strukturen sein können. Eine Brücke, jahrzehntelang selbstverständlich, wird plötzlich zum Symbol. Für Verschleiß. Für veränderte klimatische Bedingungen. Für die Frage, wie belastbar unsere Infrastruktur wirklich ist.

Man hört in Gesprächen vor Ort Sätze wie: „So etwas gab es früher nicht.“ Vielleicht stimmt das. Vielleicht täuscht auch die Erinnerung. Sicher ist nur: Die Häufung extremer Wetterereignisse verändert Wahrnehmung und Alltag. Gemeinden müssen schneller reagieren, Bürger aufmerksamer sein. Geduld wird zur Sicherheitsmaßnahme.

Bis zum Freitagmittag meldeten die Behörden keine Opfer und keine größeren Sachschäden. Eine Momentaufnahme. Die kommenden Stunden bleiben kritisch. Regen kennt keine Bürozeiten, Hochwasser keine Feiertage. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Warnungen ernst genommen werden und dass die nächste Brücke hält.

Und vielleicht auch die leise Erkenntnis, dass Vorsicht keine Übertreibung ist. Sondern schlicht gesunder Menschenverstand.

Autor: Daniel Ivers

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