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In einer unsicheren Energiesituation versucht Europa, sich aus der russischen Abhängigkeit bei der Gasversorgung zu lösen. Der Krieg in der Ukraine hat ein zehn Jahre altes Projekt wiederbelebt: Die „MidCat“, eine 200 Kilometer lange Gaspipeline von Katalonien nach Südfrankreich, kehrt auf die europäische Bühne zurück.

Es ist eine alte Idee, die vor dem Hintergrund eines besonders angespannten Energiemarktes in Europa wieder ausgegraben wird. Die Idee einer Gaspipeline zwischen Südfrankreich und der spanischen Region Katalonien ist wieder aufgetaucht, nachdem der russische Riese Gazprom am Dienstag, dem 30. August, angekündigt hatte, seine Gaslieferungen an verschiedene europäische Länder vollständig einzustellen. Spanien, Portugal und Deutschland haben ihr Interesse an dem Projekt bekräftigt, Frankreich hingegen blockt noch ab.

Was ist das Projekt „MidCat“?
Die Idee einer Gaspipeline zwischen dem französischen Süden und Katalonien wurde 2013 auf Initiative der spanischen und der französischen Regierung und mit Unterstützung der Europäischen Kommission ins Leben gerufen. Die Röhre mit dem Namen „MidCat“ sollte eine Verbindung zwischen Hostalric nördlich von Barcelona und Barbaira (Aude) östlich von Carcassonne über den Col du Perthus (Pyrénées-Orientales) schaffen. Betroffen sind 44 Gemeinden im Departement Aude und 51 Gemeinden im Departement Pyrénées-Orientales. Das Ziel: Gas aus Nordafrika nach Nordeuropa zu transportieren.

Die neue Pipeline mit einer Länge von fast 200 Kilometern würde zu zwei bereits bestehenden Röhren mit geringer Kapazität hinzukommen, die Frankreich derzeit in Larrau und Biriatou im französischen Baskenland mit Spanien verbinden.

Das „MidCat“-Projekt entsprach besonderen strategischen Zielen. Es ging vor allem darum, Flüssiggas aus Algerien in die nordeuropäischen Länder zu transportieren. Dies ist umso wichtiger, als Algerien nicht weniger als 11% des Gases liefert, das in Europa verbraucht wird. Die MidCat-Pipeline soll auch verflüssigtes Erdgas, das per Schiff aus Nigeria, Katar und den USA kommt, über die spanischen LNG-Häfen nach Norden befördern.

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Spanien ist in der Tat ein wichtiges Gastransitland für Europa. Im Jahr 2022 konzentriert das Land 34% der Regasifizierungskapazität der Europäischen Union. Spanien verfügt über 45% der Gasspeicherkapazität der EU.

Das Projekt MidCat wurde damals gekürzt und in South Transit East Pyrenees (STEP) umbenannt. 2019 wurde es sowohl von der Commission de régulation de l’énergie (CRE) als auch von der Comisión nacional de los mercados y la competencia (CNMC) von Frankreich und Spanien abgelehnt.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zunächst wurden die wirtschaftlichen Kosten des Projekts kritisiert: Europa müsste 500 Millionen Euro für den Bau und die Verlegung der Pipeline aufbringen. Auch die Umweltauswirkungen des Projekts wurden sowohl in Frankreich als auch in Spanien von zahlreichen Umweltaktivisten kritisiert.

Der allmähliche Rückgang der Gaslieferungen aus Russland setzt die europäischen Staats- und Regierungschefs heute unter starken Druck, Alternativen zu finden. Dies gilt auch für Deutschland, dessen Energiemarkt bislang besonders stark von russischem Gas abhängig war. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich daher letzte Woche für den Bau einer Gaspipeline von Portugal nach Deutschland aus, die auch durch Spanien und Frankreich laufen würde: „Diese Pipeline würde die derzeitige Versorgungslage sehr entlasten“, meinte der Bundeskanzler.

Auch Spanien ist für den Pipelinebau. Am Dienstag, dem 30. August, verteidigte die spanische Ministerin für Energie und Umwelt, Teresa Ribera, in einem lokalen Radiosender das MidCat-Projekt: „Wir müssen uns auf den nächsten Winter vorbereiten und in diesem Zusammenhang in der Lage sein, eine Verbindung fertig zu stellen, die 2019 wirtschaftlich keinen Sinn gemacht hat … aber jetzt entscheidend sein könnte, um die Versorgung von Mittel- und Nordeuropa zu gewährleisten“. Die Ministerin behauptet außerdem, dass „MidCat“ die Sicherung von „2 bis 2,5%“ des europäischen Gasverbrauchs ermöglichen würde.

Warum lehnen die französischen Behörden das Projekt ab?
Frankreich zeigt sich in der Frage einer Gaspipeline von Katalonien nach Südfrankreich besonders zurückhaltend. Eine Position, die von deutschen und spanischen Politikern immer heftiger kritisiert wird. Die französischen Behörden wollen die Tür für ein solches Projekt jedoch nicht völlig schliessen: Auf Anfrage der Zeitung La Dépêche du Midi erklärte das Ministerium für den ökologischen Übergang, dass „die Entwicklung neuer Gasinfrastrukturen geprüft wird, um die Verbindung zwischen der Iberischen Halbinsel und dem Rest Europas zu verbessern“.

Die französische Regierung ist jedoch der Ansicht, „dass ein solches Projekt in jedem Fall viele Jahre bis zur Inbetriebnahme benötigen wird und daher keine Antwort auf die aktuelle Krise sein kann“. Die spanische Regierung bestreitet dies und ist der Ansicht, dass die Pipeline in „8 bis 9 Monaten“ betriebsbereit sein könnte.

Die französische Regierung ist außerdem der Ansicht, dass „die Einrichtung von LNG-Terminals in Nord- und Osteuropa (und insbesondere in Deutschland) geringere und einfachere Investitionen darstellt, umso mehr, wenn es sich um schwimmende Terminals handelt, die dem aktuellen Kontext besser gewachsen sind“. Schließlich ist das Ministerium für den ökologischen Übergang der Ansicht, dass das Projekt nicht mit den Energiezielen übereinstimmt, die sich die verschiedenen europäischen Länder gesetzt haben, nämlich „bis 2050 ohne fossile Energieträger auszukommen“.

Liegen andere Alternativen auf dem Tisch?
Während Frankreich seinen Widerstand gegen das „MidCat“-Projekt aufrechterhält, möchte Spanien die Möglichkeit einer Gaspipeline untersuchen, die die Iberische Halbinsel mit Italien verbindet. „Premierminister Pedro Sánchez setzt sich angesichts der Vorbehalte Frankreichs, das das Projekt MidCat für zu teuer hält – auch wenn es aus EU-Mitteln finanziert werden soll – für eine andere, unterseeische Gaspipeline von Barcelona nach Livorno an der italienischen Westküste ein“, meldet die Tageszeitung El Mundo.


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