Tag & Nacht

Der ehemalige Justizminister Jean-Jacques Urvoas hat so etwas angedeutet. Aber nach Ansicht der von Franceinfo befragten Verfassungsspezialisten gibt es kein Szenario, das es dem Staatschef ernsthaft ermöglichen könnte, ein weiteres Mal für seine eigene Nachfolge zu kandidieren.

Bisher war es unbestritten und klar: Emmanuel Macron wird am Ende seiner zweiten Amtszeit, die im Mai 2022 begonnen hat, nicht erneut kandidieren können. In diesem Punkt lässt die 2008 überarbeitete französische Verfassung keinen Zweifel: „Der Präsident der Republik wird in allgemeiner und direkter Wahl für fünf Jahre gewählt. Niemand darf mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten ausüben“, heißt es in Artikel 6 der Verfassung.

Aber was wäre, wenn die Präsidentschaftswahlen vor Ablauf seiner Amtszeit stattfinden würden, z. B. bei einem Rücktritt des Staatsoberhaupts? Diese auf den ersten Blick abwegige Frage hat sich jetzt aber aufgrund einer kürzlich erfolgten Stellungnahme des Staatsrats in die politische Debatte eingeschlichen. Mitte Oktober erlaubte das höchste französische Verwaltungsgericht dem derzeitigen Präsidenten von Französisch-Polynesien, Edouard Fritch, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, obwohl er laut eines Verwaltungsgesetzes „nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten von fünf Jahren ausüben darf“. Die erste Amtszeit von Edouard Fritch, die nach dem Rücktritt von Gaston Flosse begann, dauerte jedoch nur vier Jahre.

In einem Artikel in der Zeitung L’Opinion versuchte der ehemalige Justizminister Jean-Jacques Urvoas Ende November, diese Situation auf den Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu übertragen. „Stellen wir uns vor, dass der Präsident der Republik die Nationalversammlung vor Ablauf seiner Amtszeit auflöst und zurücktritt. Dann würde der Präsident des Senats die Amtsgeschäfte übernehmen und es würde eine Neuwahl stattfinden. Da Emmanuel Macron keine zwei aufeinanderfolgenden vollständigen Amtszeiten absolviert hat, könnte er also wieder kandidieren“, meint der ehemalige Justizminister von François Hollande. Diese Analyse wird jedoch von mehreren Verfassungsrechtlern, die von Franceinfo kontaktiert wurden, nicht geteilt.

„Die Situation in Polynesien ist nicht übertragbar“, meint der Verfassungsrechtler Dominique Rousseau. „Der Fall Polynesien kann kein Präzedenzfall sein, der für die von Jean-Jacques Urvoas erdachten Hypothese herangezogen werden kann“. Tatsächlich erwähnt das Verwaltungsgesetz der Inselgruppe ausdrücklich zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten von fünf Jahren, während Artikel 6 der französischen Verfassung von „zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten“ spricht, ohne deren Dauer zu präzisieren.

Die Verfassung gibt keine klare Antwort auf die Frage, welche Folgen ein möglicher Rücktritt hätte. Die Frage „wurde während der Vorbereitungsarbeiten für die Verfassungsänderung im Jahr 2008 nicht aufgeworfen“, bestätigt der Verfassungsrechtler André Roux. Und das, obwohl „die Absicht vor allem darin bestand, die Amtszeiten zu begrenzen“.

Dennoch gibt es für ihn keinen Zweifel: Emmanuel Macron hätte in jedem Fall bereits eine zweite Amtszeit absolviert. Er urteilt: „Es gibt keine Zweideutigkeit, keine Interpretationsmöglichkeit. Die Situation wäre anders gewesen, wenn in Artikel 6 von zwei aufeinanderfolgenden fünfjährigen Amtszeiten die Rede gewesen wäre, wie in Französisch-Polynesien.“ Der Absatz des Artikels, der die Amtszeit des Präsidenten der Republik auf fünf Jahre festlegt, und der Absatz, der die Begrenzung auf zwei Amtszeiten einführt, „lassen sich eigenständig lesen“, meint auch der Verfassungsrechtler Didier Maus.

Eine Kandidatur im Jahr 2032 ist aber möglich
Andererseits hindert Emmanuel Macron nichts daran, nach einer Amtszeit, die zwischen 2027 und 2032 von einem anderen Präsidenten ausgeübt wird, erneut zu kandidieren. Macron wird 2032 erst 54 Jahre alt sein und es gibt keine verfassungsrechtlichen Probleme mit einer dritten Knadidatur, wenn die Amtszeit eines anderen Präsidenten zwischen seiner zweiten und einer möglichen dritten Amtszeit liegt. „Er ist noch jung und könnte den Trick von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew wiederholen“, amüsiert sich der Verfassungsrechtler André Roux. Als der derzeitige russische Staatschef 2008 gezwungen war, das Amt des Präsidenten abzugeben, ließ er seinen Premierminister eine Amtszeit lang bis 2012 sein Amt ausüben, bevor er selbst wieder ins Amt kam.

Eine dritte, direkt auf die zweite Amtszeit folgende Kandidatur Macrons vor oder in 2027 ist allerdings reine Fiktion und verfassungsrechtlich ausgeschlossen.


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