Es war ein sonniger Septemberabend in Lissabon, als ausgerechnet eines der traditionsreichsten Wahrzeichen der Stadt zur tödlichen Falle wurde. Der Elevador da Glória – eine historische Standseilbahn, seit über 140 Jahren im Betrieb – entgleiste mit voller Wucht und riss mindestens 15 Menschen in den Tod. 18 weitere wurden verletzt, fünf davon schweben in Lebensgefahr. Was bleibt, ist ein kollektiver Schock – und ein Land in tiefer Trauer.
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Es war kurz nach 18 Uhr, als der Wagen sich auf dem gewohnten Weg die Rua da Glória hinabbewegte, wie unzählige Male zuvor. Die Strecke, eine steile Verbindung zwischen dem geschäftigen Restauradores-Platz und dem hippen Bairro Alto, ist eine touristische Attraktion – aber auch Alltag für viele Einheimische. Doch an diesem Tag geriet das vertraute Rattern aus dem Gleichgewicht.
Ein Kabel riss. Der Wagen schoss unkontrolliert talwärts.
Was dann geschah, lässt sich nur mit einem Wort beschreiben: Katastrophe. Augenzeugen berichten von Schreien, splitterndem Holz, panischer Flucht – und einem Aufprall, so gewaltig, dass das Fahrzeug wie aus Papier gefaltet gegen eine Hauswand prallte. Der Wagenführer, André Marques, starb noch am Unfallort. Unter den Opfern: Einheimische, Touristinnen, ein Kind, eine schwangere Frau. Lissabon wird diesen Tag nicht vergessen.
Während Feuerwehr und Sanitäter binnen Minuten zur Stelle waren und eine beeindruckende Rettungsaktion starteten, begann bereits das große Fragen: Wie konnte das passieren? Die Betreiberfirma Carris verwies sofort auf die eingehaltenen Wartungsintervalle. Tägliche Kontrollen, monatliche Checks, alles angeblich nach Vorschrift.
Doch interne Stimmen malen ein anderes Bild. Seit Jahren gibt es Hinweise auf Mängel bei der Instandhaltung – und auf Probleme mit dem seit 2022 zuständigen privaten Wartungsunternehmen. Schon früh hatten Angestellte auf Qualitätsdefizite hingewiesen. Nur: Gehör fanden sie nicht. Muss also wirklich erst etwas Schreckliches passieren, bevor jemand hinhört?
Lissabons Bürgermeister Carlos Moedas sprach von einer Tragödie historischen Ausmaßes. Er verhängte drei Tage Trauer in der Stadt. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa bekundete sein Beileid in bewegenden Worten. Und Premierminister Luís Montenegro ordnete einen nationalen Trauertag an – ein starkes Symbol, das zeigt: Dieses Unglück wirkt weit über die Stadtgrenzen hinaus.
Auch international ist die Anteilnahme groß. Die Europäische Kommission, südkoreanische Behörden, Spaniens Regierung, der ukrainische Präsident – sie alle meldeten sich mit Solidaritätsbekundungen. Kein Wunder: Der Elevador da Glória ist weit mehr als ein Verkehrsmittel. Er ist ein Denkmal, eine Nostalgiebahn durch die Altstadt, ein Postkartenmotiv in Bewegung.
Und genau das macht den Schmerz noch bitterer. Denn hier kollidieren zwei Welten: historische Romantik und moderne Sicherheitsansprüche. Wie sicher ist eigentlich ein über 140 Jahre altes Transportsystem, das täglich Passagiere befördert? Was bedeutet Wartung, wenn sie ausgelagert und offenbar nicht lückenlos überwacht wird?
Nach dem Unglück wurden sämtliche Standseilbahnen und historische Straßenbahnen in Lissabon vorsorglich stillgelegt. Der Verkehr steht still – doch die Diskussion hat gerade erst Fahrt aufgenommen. Ein eigens eingesetztes Untersuchungsteam des nationalen Unfallamts nimmt nun jedes Detail unter die Lupe: Kabelzug, Bremssysteme, Personalabläufe, Outsourcing-Prozesse. Und die Stadt? Die muss entscheiden, wie sie in Zukunft mit dem Spagat zwischen Denkmalpflege und Lebensschutz umgeht.
Denn eines ist klar: Der Glória-Wagen darf nie wieder zur Todesfalle werden.
Während Lissabon trauert, wächst die Forderung nach Transparenz, Konsequenz und Erneuerung. Vielleicht ist das der einzige Hoffnungsschimmer in diesem düsteren Kapitel: Dass diese Tragödie nicht nur Erinnerungen hinterlässt, sondern auch Veränderungen.
Autor: Daniel Ivers
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