Der Himmel über Bursa glüht. Nicht etwa wegen des Sonnenuntergangs – sondern weil Feuerwalzen ganze Landstriche verheeren. Die Türkei steht in diesen Tagen buchstäblich in Flammen. Während die Temperaturen vielerorts über 45 Grad klettern und die Hitze in manchen Regionen sogar die 50-Grad-Marke reißt, kämpfen Feuerwehrleute, Rettungskräfte und Freiwillige einen zermürbenden Kampf – gegen eine Natur, die sich aus dem Gleichgewicht verabschiedet hat.
3.500 Menschen wurden evakuiert, allein in Bursa, der viertgrößten Stadt des Landes. Die Stadt, eingebettet zwischen bewaldeten Hügeln und historischen Mauern, ist derzeit mehr Kampfzone als Wohnort. Über ihr: dicker, grauer Rauch, der Sonne und Hoffnung gleichermaßen verdeckt.
Im Norden des Landes, in Karabük, wo Wälder 72 Prozent der Fläche bedecken, lodern die Flammen ebenfalls – angefacht vom Wind, der jeden Löschversuch aus der Luft zur Lotterie macht. Hubschrauber kommen kaum noch durch. Stattdessen wühlen sich Einsatzkräfte durch knietiefen Ascheboden, ihre Gesichter rußverschmiert, die Stimmen heiser, die Schritte müde.
„Natürlich ist das kompliziert. Aber das ist uns egal – wir bleiben, bis die letzte Flamme aus ist“, sagt ein Feuerwehrmann, der seit drei Tagen kaum geschlafen hat. Er blickt dabei nicht in die Kamera, sondern in ein brennendes Tal. Die Worte klingen wie ein Schwur.
Doch der Kampf gegen das Feuer ist längst mehr als ein lokales Problem.
Die Türkei durchlebt gerade eine Hitzewelle historischen Ausmaßes. In weiten Teilen des Landes herrschen Temperaturen jenseits der 40 Grad – in Diyarbakir, im Südosten, stieg das Thermometer zuletzt auf über 45 Grad. Die Hitze ist allgegenwärtig. Sie schlägt auf die Stimmung, auf den Kreislauf, auf das Leben. Menschen suchen Schatten, Wasser, irgendetwas, das ein wenig Linderung bringt. Eine Frau sagt: „Draußen verbrennen wir. Wir wissen gar nicht mehr, wohin.“
Diese Worte sind kein Klagen – sie sind ein Hilferuf. Denn es fehlt nicht nur an Wasser zum Trinken. Die Hitze hat viele Regionen ausgedörrt. Felder sind verdorrt, Flüsse trocken. Ein Anwohner bringt es auf den Punkt: „Es gibt kein Wasser mehr. Und die Hitze ist unerträglich.“
Die türkischen Behörden schlagen Alarm. Und sie tun es mit ungewöhnlich klaren Worten. Die aktuelle Lage könne sich bis Oktober hinziehen, heißt es – also noch gut zwei Monate Ausnahmezustand. In einem Land, das ohnehin regelmäßig mit Sommerbränden zu kämpfen hat, klingt das wie ein Dauerfeuer.
Was sich hier abspielt, ist mehr als eine Naturkatastrophe. Es ist ein Ausblick – auf eine Zukunft, in der Wetterextreme zur Regel werden.
Ein Bericht der Vereinten Nationen warnt: 88 Prozent des türkischen Staatsgebiets sind von Desertifikation bedroht – also davon, sich schleichend in Wüste zu verwandeln. Wo früher Landwirtschaft florierte, breiten sich Risse im Boden aus. Wo Wälder standen, bleiben verkohlte Gerippe.
Die Ursachen sind vielfältig – und menschgemacht. Klimawandel, falsch bewässerte Agrarflächen, Waldrodungen, ein rasantes Städtewachstum ohne Rücksicht auf ökologische Balance. All das hat der Natur in der Türkei Stück für Stück die Grundlage entzogen.
Die aktuelle Hitzewelle wirkt da wie ein Brandbeschleuniger – im wahrsten Sinne des Wortes.
Doch überall gibt es auch Zeichen der Solidarität. Menschen spenden Wasser und Lebensmittel an Einsatzkräfte. Bauern öffnen ihre Höfe für Evakuierte. Jugendliche helfen bei Evakuierungen oder beim Transport von Ausrüstung. Inmitten der Asche blüht Menschlichkeit.
Und natürlich stellt sich die Frage: Wie oft muss ein Land brennen, bevor sich die Politik verändert?
Die Antwort wird nicht allein in Ankara gegeben – sondern auch in Brüssel, Berlin, Paris. Denn das, was die Türkei gerade durchlebt, ist ein Mosaikstein in einem globalen Bild: Waldbrände rund ums Mittelmeer, Überschwemmungen in Mitteleuropa, Dürre in Italien, verheerende Stürme in Asien.
Die Erde schüttelt sich. Und sie sendet Signale, die kaum lauter sein könnten.
Was bleibt, ist eine Mischung zwischen Mitgefühl und Mahnung. Die Flammen in Bursa und Karabük mögen bald gelöscht sein. Doch die Ursachen, die sie entfacht haben, lodern weiter – unsichtbar, aber unaufhaltsam.
Autor: Andreas M. Brucker
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