Tag & Nacht

Es steht zur Zeit offensichtlich nicht gut um das deutsch-französische Verhältnis. Seit Donnerstag, dem 20. Oktober, findet in Brüssel ein entscheidender EU-Gipfel zu Energiefragen statt, aber Paris und Berlin befinden schon seit mehreren Monaten nicht mehr auf derselben Wellenlänge.

Die Schuld liegt natürlich irgendwie auf beiden Seiten, aber die Liste der Streitigkeiten wird immer länger. Die Stimmung ist so schlecht, dass Paris und Berlin im letzten Moment ein Treffen absagen, das seit 20 Jahren keiner von beiden versäumt hat: den deutsch-französischen Ministerrat, der ursprünglich für Mittwoch, den 26. Oktober, in Fontainebleau geplant war. Das Treffen wurde auf Januar verschoben, in der Hoffnung, dass sich bis dahin alle wieder versöhnt haben. Denn man sollte sich nichts vormachen, bei der Absage geht es nicht nur um Probleme mit der Agenda. Die beiden sonst so verlässlichen Partner haben echte inhaltliche Differenzen.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, fiel Ende September, als der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ohne Vorwarnung seinen 200-Milliarden-Euro-Plan, genannt „Doppel-Wumms“, ankündigt, um den deutschen Unternehmen und Haushalten bei der Bewältigung der Inflation und steigenden Energiekosten zu helfen. Die Deutschen sind natürlich begeistert, die europäischen Nachbarn aber nicht so sehr. Denn derartig massive Hilfen, die ohne Absprache ausgelobt werden, während um einen herum die meisten europäischen Freunde hoch verschuldet sind und in der Klemme stecken, erscheinen nicht sehr solidarisch. Dies ist umso mehr der Fall, als Berlin keine Gelegenheit auslässt, seinen Nachbarn Lektionen in Sachen Haushaltsdisziplin zu erteilen. Diese Haltung wird als „Tut, was ich sage, aber nicht, was ich tue“ wahrgenommen.

Im Energiebereich gibt es einen sehr spezifischen Punkt, über den Paris und Berlin fast täglich streiten und der derzeit auch in Brüssel im Rat der 27 diskutiert wird, nämlich der Preis für Gas, das zur Stromerzeugung verwendet wird. Spanien und Portugal haben die Preise gedeckelt, Frankreich möchte, dass dies in ganz Europa geschieht. Scholz aber sagt, dass eine künstliche Senkung des Gaspreises dazu verleitet, mehr zu verbrauchen, was das Ende der Energieeinsparung bedeutet. Und ausserdem und vor allem könnten die großen Lieferanten wie Katar oder Norwegen ihre Ware anderswo verkaufen, wo sie mehr verdienen.

Eine europäisches Luftverteidigung… ohne Frankreich
Im Bereich der Verteidigung gibt es zwei große Industrieprojekte, die sinnbildlich für die deutsch-französische Zusammenarbeit stehen und ins Stocken geraten sind: der Panzer der Zukunft und der Scaf, das Flugzeug der Zukunft, das 2040 die Rafales und Eurofighter ersetzen sollte – jetzt ist noch nicht einmal abzusehen, dass es jemals die Fabriken verlassen wird.

Aber was Paris wirklich verärgert hat, ist das Raketen- und Luftabwehrsystem, mit dem sich Berlin ausstatten will, falls die Dinge mit Russland weiter schief laufen. 14 NATO-Länder haben sich inzwischen diesem Projekt eines „europäischen Himmelsschildes“ angeschlossen, das aus deutschem, amerikanischem und sogar israelischem Material gebaut werden soll. Frankreich, das auf sein eigens Boden-Luft-System Mamba setzen wollte, ist nicht mehr dabei.

Der Krieg in der Ukraine hat die schwelenden Meinungsverschiedenheiten noch verschärft: Ein Krieg, der den Schwerpunkt der Europäischen Union verlagert hat. Alles spielt sich im Osten ab, in Polen, in den baltischen Staaten, in all den Ländern, die der russischen Bedrohung ausgesetzt sind. Deutschland schaut heute viel mehr auf den Osten als auf Frankreich.

Für Paris erwecken die Deutschen den Eindruck, dass sie Alleingänge machen, weil es schon schwierig genug ist, sich in einer Koalition zwischen Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen zu einigen, sodass sie nicht mehr genug Zeit haben, um sich um ihren französischen Partner zu kümmern…


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